Foto: Lukas Tutur in "Lola Montez" © Matthias Horn
Text:Wolf-Dieter Peter, am 29. Januar 2013
Ein Hauch von „genius loci“ im üppig prunkenden Cuvilliéstheater: die 21jährige pseudo-spanische Tänzerin Lola Montez aus Irland könnte dort tatsächlich mal vor dem 60jährigen König Ludwig I. getanzt haben. Jetzt steht der hinreißende Oliver Nägele einmal in der hell erleuchteten Königsloge und gesteht vor uns allen in Parkett und Rängen, vor allem aber den zwei kessen Lolas von Katrin Röver und Genjia Rykova in anrührender Ehrlichkeit die liebevoll sinnliche Devotion eines reifen Mannes.
Diesem einen Höhepunkt in der Neubearbeitung der Operetten-Fassung von Peter Kreuder und Maurus Pacher stehen auch drei grundsätzliche Mankos gegenüber: das Berliner Multitalent Jürgen Kuttner und sein Ko-Autor und –Regisseur Tom Kühnel haben Lola verdoppelt – doch daraus außer keinerlei dramaturgische oder psychologische oder witzige Funken geschlagen. Dabei sing-schauspieleren die Röver und Rxkova einmal ein intimes „Spiegel-Duett“ – der Theaterfreund denkt „Ja, das ist es!“ – doch dabei bleibt es, nichts folgt. Dann werden auf die bis zur Brandmauer leere Bühne drei Podeste geschoben. Darauf die beiden Schlagzeuger Keller&Fabricius, in ihrer Mitte die gestylte „Polly“ am Keyboard – und dann dröhnen die drei als Punk-Band „Pollyester“ los. Nur bleibt aller neuer Text im herrlich höllischen Gewummer ohne Übertitel unverständlich, also kein Neufassungs-Gewinn… denn wenn schon zwei Drumm-Boys, dann kann der an Gene Krupa und Art Blakey geschulte Schlagzeug-Liebhaber nur mäkeln: ‚Jungs, was ihr da jeweils drei Minuten drescht, ist rhythmisch zu schlicht, im Mix zu wenig raffiniert!’ Schließlich: So erfreulich es ist, dass – wenn schon kaum Universität und Parteien – so wenigstens das Theater Kapitalismus-kritische Köpfe besitzt und ausstellt, so fragwürdig bleibt, dass Jürgen Kuttner nun ausgerechnet Lola Montez zur frauenkämpferischen Kritikerin des „männlichen Geldsystems“ umformt und verbiegt. Worum es ihm geht, macht er dann als greller Conferencier (mit leider vielen hektischen Textfehlern) klar: er konfrontiert das natürlich überwiegend großbürgerlich gediegene Münchner Publikum mit den wilden Attacken von Valerie Solanas „SCUM-Manifest“: gegen die Männer, die mit ihrem Geld- und Macht-System die Welt ruinieren; gegen die süß „bewusstlosen“, angepassten und gestylten „Daddy-Frauen“. Wär’ das nicht ein anderes Stück?
Doch in der gekonnt auf jeweils wechselnden Podesten ablaufenden Haupthandlung zwischen Atelier, Kabinett und Bett erfreuten guter Text, Witz, Klugheit und sogar eine Prise Lebensweisheit: vom liberal-konservativen König, seinem reaktionären Polizeidirektor (herrlich engstirnig Götz Argus), dem verführbaren Leibwache-Leutnant (adrett Wolfram Rupperti), dem Maler Stieler (kunst-beflissen Arthur Klemt), dem Lola-Anhängsel Bébé (schön pomadig Lukas Turtur) und der herrlich bajuwarisch grübig-knackigen Kammerdienerin Emerenz von Katharina Pichler. Dazu, wie auch zum Punk-Geröhre kontrastierte das Rudolf-Knabl-Quintett mit Kreuders Operetten-Schmäh und einem Hauch bayerischer „Stubn-Musi“. Doch selbst die beiden gekonnt disco-tanzenden Lolas als Ur-Mütter aller folgenden Lulus und Lolitas überragte der zwar unhistorisch behäbige, aber ungekünstelt Souveränität ausstrahlende Ludwig von Oliver Nägele. Ihm glaubte man die umso heißere Glut des reifen Mannes wie die Tristesse des am Ende verlassenen, verloren auf der Ukulele klimpernden alten Nicht-mehr-Souveräns. Begeisterter Jubel im Sinne des urbayerischen „Mei, Hund’ warn’s scho’!“