Foto: Katharina Schlothauer, Axel Strothmann, Sebastian Reck, Gisela Hess © Nilz Böhme
Text:Michael Laages, am 28. Januar 2013
Erinnern will der junge Mann die Bürger seiner Stadt an die Freiheit, die sie haben; und an das, was in ihnen steckt – in jedem und jeder Einzelnen, im Leben, in der Demokratie. Dafür will er (etwas altbacken, zugegeben) eine Stele aufstellen lassen, einen Erinnerungsstein; und zwar an prominenter Stelle – exakt dort, wo die Wirtschaftsmagnaten der Gemeinde mit dem City-Center gerade eine neue Geldquelle auftun wollen. Das kann natürlich nicht abgehen ohne Blessuren – und Martin, der Polit-Novize in der Schlangen-, besser: Schildkrötengrube des Stadtrats, lernt schon im Fraktionsausschuss für Denkmalpflege und Erinnerungskultur, was eine lokalpolitische Harke ist.
Kai Ivo Baulitz hat diese Fabel ziemlich giftig angeschärft; ausgerechnet zum 80. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme auch in Magdeburg entwirft er eine Polit-Farce über den verantwortungslosen Alltag unserer politisch-parlamentarischen Gegenwart, die sich doch so weit entfernt fühlt von allem totalitären Gehabe; und darum viel zu sicher. Martin zwingt die Kollegenschaft der Fraktion, Urgesteine, Ab-, Auf- und Umsteiger, per Sondersitzung zur Debatte über die Stelen-Idee; und natürlich will zunächst keiner die Sitzung, und auch die Stele schon gar nicht.
Fraktionschef und Alphtier Jens liebäugelt eh mit dem Aufsichtsratsposten der City-Center-Gruppe sowie mit der Controlling-Spezialistin Elena, für die dieser ganze Politkleinkram aber nur eine Durchgangsstation ist. Fraktionsfreund Robert geht gerade finanziell vor die Hunde (und braucht darum Jens, für den er einst die Doktorarbeit schrieb); Renate schließlich, Urgestein und „Schildkröte“ (ihr Polit-Spitzname!) hat schon alle, jeden und jede überlebt, der hier was werden wollte. Gisela Hess sieht in dieser Rolle durch Perücke und Hosenanzugsfarbe übrigens zum Staunen gut nach Kanzlerin aus.
Die anderen Funktionsidioten mögen die Zuschauer je nach lokaler Vertrautheit mit anderen „echten“ Volksvertretern identifizieren – die Qualität im Baulitz-Text liegt jedoch in der wirklich feinen Bosheit, mit der er die zutiefst beschränkten, nur am eigenen Interesse orientierten Hinterzimmer-Strategen zeichnet. Kurzfristig werden Koalitionen erahnbar, etwa zwischen Martin und der flotten Elena, die schon mal in Chile war und weiß, dass indianische Lebensbäume Martins Stelen-Idee ziemlich nahe kommen. Und gegen Ende tickt überraschenderweise der total gescheiterte Robert völlig aus und wird zum Outlaw, der den fast schon angepassten Martin rausholt aus dem Polit-Betrieb – und zurück in die fundamentale Opposition gegen alles.
Auch Martin ist ja kein Held; aber vage köchelt in seinem Bewusstsein noch die Erinnerung an graue Vorzeiten, als um jedes Überleben gekämpft werden musste. Das zeigt Stolzenburg zu Beginn ein wenig langwierig – danach entfesseln Axel Strothmann, Peter Weiss und Sebastian Reck, Katarina Schlothauer und Gisela Hess in dieser Inszenierung ein parlamentarisches Pandämonium; wie unter Ureinwohnern. Und nicht nur in Magdeburg.