Auch wie die Schauspieler im Raum postiert sind, erinnert an eine Choreographie. Oftmals stehen sie weit voneinander entfernt, so dass ihre Stimmen unheimlich-beklemmend durch die Leere und Stille des Raums hallen. Etwa wenn Selma und der Polizist Bill (Jonas Fürstenau) sich in ihre tödlich endende Auseinandersetzung verstricken, weil er, eigentlich eine Vertrauensperson für Selma, deren mühsam erspartes Geld für die Augenoperation ihres Sohnes gestohlen hat.
Dergestalt ist es dem Schauspielregisseur Christian Brey und den Choreographen Marco Goecke und Louis Stiens gelungen, Schauspielaktion und Tanz immer wieder sinnfällig zu verzahnen. Goecke musste krankheitsbedingt für einen großen Teil der Probenzeit aus dem Projekt aussteigen, aber der Nachwuchschoreograph Stiens hat Goeckes spezifischen Stil eigenständig und doch im Sinne seines Lehrers kongenial weitergeführt.
Hinter der puristisch-dunklen Schönheit des Tanzes lauert bei Goecke und Stiens Existenziell-Menschliches. Die zappelnden, sich kurios verdrehenden Tänzerkörper erzählen von inneren Beschädigungen, aber auch von Zartheit, Lebensfreude und Widerstand. Besonders anrührend bringt dies der erst fünfzehnjährige Alessandro, ein Schüler der John Cranko Schule als Selmas Sohn Gene zum Ausdruck. Diese Rolle mit einem Tänzer zu besetzen, ist eine dieser so originellen wie wirkungsvollen Ideen des Inszenierungsteams, die das Theater- und Tanzprojekt „Dancer in the Dark“ vom Film abheben.
Außer Giaquinto hat von den insgesamt zwanzig Tänzerinnen und Tänzern lediglich Angelina Zuccarini eine namentlich zugewiesene Rolle. Als Gefängniswärterin Brenda umkreist sie die auf ihre Hinrichtung wartende Selma wie ein schattenhaftes Alterego und zugleich wie eine Trost spendende Botschafterin einer besseren Welt. Obwohl ohne Worte, weiß auch der Tanz zu sprechen. Ohnehin ist der Textumfang knapp gehalten, denn die Vorlage, Patrick Ellsworths Theaterstück nach von Triers gleichnamigem Film, wurde stark eingekürzt. Die Schauspieler haben also die anspruchsvolle Aufgabe, ihre Figuren vorwiegend durch das nonverbale Spiel auszugestalten, was allen zehn Akteuren mit eindringlicher Intensität gelingt, allen voran Ute Hannig.
Eingebunden in eine so puristisch-abstrakte wie an frappierenden Bildeffekten reiche Gesamtästhetik aus Bühne, Kostümen und Video (Anette Hachmann/Elisa Limberg), Musik (Mattias Klein) und Licht (Udo Haberland) bewirken auf der Theaterbühne die unmittelbare Präsenz von Schauspiel und Tanz, dass die Geschichte von Selma den Zuschauer ins Herz trifft.