Foto: Szene aus dem neuen Phantom-Ballett in Halle © Gert Kiermeyer
Text:Ute Grundmann, am 3. Dezember 2012
Das Phantom sieht der Tänzerin Christine durch den Spiegel zu. Noch sieht sie ihn nicht, tanzt für sich allein. Doch dann tritt er aus dem beleuchteten Spiegel heraus, führt sie beim Tanz, lehrt sie Schritte, bis sie schließlich dem Mann mit der Maske zurück durch den Spiegel folgt. Auf solche stillen, intensiven Szenen folgt in Ralf Rossas neuer Choreografie „Das Phantom der Oper“ in der Oper Halle der große Auftritt, die Massenszene als Blickfang und Augenschmaus. Von beidem hat seine jüngste Arbeit reichlich.
Nicht Andrew Lloyd Webbers Musical, sondern der Originalroman von Gaston Leroux diente als Vorlage für dieses „Balletttheater“, wie Rossa seine Arbeiten selbst nennt. Und auch nicht Webbers Musik erklingt, sondern Rossa und David T. Heusel haben Orchester- und Klavierstücke von Alexander Glasunow, Michael Nyman, Camille Saent-Saens und Frédéric Chopin zusammengestellt. Und so ergibt sich auch musikalisch der stete Wechsel von triumphierend-auftrumpfenden Orchesterklängen und leiser, fast behutsamer Klavierbegleitung. Der zweistündige Abend beginnt wie mit einer Märchenszene. Ein gemalter, geraffter Vorhang gibt rechts unten den Durchblick auf zwei Tänzer frei: Er den Kopf weiß verhüllt, sie im weißen Kleid, tanzen mal getrennt, mal zusammen – wie in einem Traum oder einer Vorwegnahme der Handlung in den Katakomben der Oper.
Diesen leicht märchenhaften Duktus behält der Abend weitgehend bei. So auch bei der Ballett-Probe, bei der lauter weiße Tänzerinnen auf Spitze die Primaballerina (Markéta Slapotová) umschweben, den Star der Oper, bis sie sich verletzt, strampelnd protestierend auf dem Boden hockt und doch den Auftritt Christines (Ludivine Revazov-Dutriez) nicht verhindern kann – beobachtet von den Theaterdirektoren am Bühnenrand.
Solche Theater-im-Theater-Situationen verführen leicht dazu, zu zeigen, was man hat und kann. Und so gibt es hier einen aufwendig kostümierten orientalischen Maskenball (Kostüme Götz Lanzelot Fischer), sehr schön anzusehen. Oder eine umständliche Szene mit sich amüsierenden jungen Herren, bei denen ein Bote versucht, ein Paket loszuwerden – das dann auf den Boden knallt und mit Feuerzauber einen maskierten Kopf freigibt: Eine Karikatur des Phantoms. Das bringt die Handlung nicht unbedingt weiter, kann aber die traurige Geschichte auch nicht aufhalten. Und die wird überzeugend getragen von den beiden Protagonisten (auch in dieser zweiten Vorstellung tanzte die Premierenbesetzung): Michal Sedlácek als Phantom, sehr elegant, sehr ausdrucksvoll, zwischen hingerissenem Tanz mit der angebeteten Christine und wütend-verzweifelten Drehungen und Sprüngen. Und Ludivine Revazov-Dutriez‘ Christine wandelt sich von der scheuen, suchenden zu einer selbstbewussten Frau, die Ring und Brautschleier verweigert, die das Phantom ihr anstecken will. Ebenfalls sehr ausdrucksstark ist Kaori Morito als strenge Directrice in einem eleganten, prächtig ausgestatteten Tanz-Märchen.