Foto: Sabine Zeininger, Peter Rinderknecht, Elisabeth Jakob und Folkert Dücker als heimelige Familie in "Das Babylon-Projekt" am JES. © Tom Pingel
Text:Adrienne Braun, am 13. November 2012
Als der Projektentwickler ins Haus kommt, werden die Kinder ganz nervös. 2,1 Millionen Euro bietet er der Familie Schuhmacher. Soviel Geld für ein Haus, das gerade mal ein Drittel davon wert ist, das dringend renoviert werden müsste und nicht einmal besonders schön ist. Aber der Mann hat Visionen: Auf dem Grundstück soll ein Hochhaus entstehen, ein Investorenprojekt à la ECE, eine Büro- und Shoppingmall im Megaformat. Ein Projekt wie der Turmbau zu Babel – „heute ist die Menschheit soweit“, sagt der Mann stolz.
„Babylon-Projekt“ nennt sich entsprechend das Jugendstück, das der Regisseur Klaus Hemmerle am Jungen Ensemble Stuttgart gemeinsam mit den Schauspielern entwickelt hat. Grundlage waren die zahllosen Investitionsprojekte, die Stuttgart derzeit komplett auf den Kopf stellen. Auch Stuttgart 21 hat Pate gestanden sowie der tiefe Graben, den das Bahnhofsprojekt in manche Familie gerissen hat.
Auch die Familie Schuhmacher ist gespalten. Die Kinder wollen verkaufen, die Eltern nicht. Die Kinder wollen sich mit dem Geld in die Welt aufmachen, die Eltern wollen das Alte bewahren. So stecken in „Das Babylon-Projekt“ letztlich zwei Problemstellungen: Wie einigt sich eine Familie, in der jeder andere Ziele und Träume hat? Und wie verhält sich der einzelne gegenüber den Machenschaften von Großinvestoren? Lässt er sich kaufen?
Anders als die meist feinsinnig abwägenden Stücke im JES strapaziert „Das Babylon-Projekt“ letztlich den Dualismus von Wertbewahrern und Fortschrittsgläubigen, der bei Immobilienprojekten so gern bedient wird. Die Kinder der Schuhmachers erkennen im Lauf des Stückes, das in dem Haus ihre eigenen Wurzeln stecken. Aber das Stück bleibt die Argumente schuldig, welchen Wert das Bewahren überhaupt hat. Manifestiert sich familiärer Zusammenhalt allein durch ein bürgerliches Einfamilienhaus?
Hemmerle lässt historische Figuren wie den Armen Konrad und den Herzog Carl Eugen auftauchen, um deutlich zu machen, dass Fortschritt immer auch Abschied bedeutet hat. Er zeigt die Nöte der Familie, aber als Stück kann „Das Babylon-Projekt“ trotzdem nicht überzeugen. Die biblischen Anspielungen auf den Turmbau zu Babel bleiben bemüht. Die Figuren wurden nicht aus Charakteren heraus entwickelt, sondern sind typisiert und passend gemacht, um den Konflikt zu exemplifizieren – und werden in der Inszenierung wiederum persifliert. Da kommt der Vater (Peter Rinderknecht) nicht mehr vom Sitzsack hoch oder ruft die Mutter (Sabine Zeininger) hysterisch „Meine Rescue-Tropfen!“ Am stärksten ist ausgerechnet die Figur des Projektentwicklers, den Gerd Ritter durchaus sympathisch spielt und der psychologisch versiert ist – und letztlich deutlich klüger und reflektierter als die vier Schumachers zusammen.