Text:Wolf-Dieter Peter, am 1. Oktober 2012
Gräfin Leonora glaubt den innig geliebten, aber bei der kriegerischen Befreiung seiner Zigeuner-Mutter Azucena ja in Gefangenschaft geratenen Troubadour tot. Verdi hat ihr beim Einzug ins Kloster herzbewegende Töne komponiert. Regisseur Balázs Kovalik lässt seine Leonora in ein Notlazarett in einer Ruine hereinrollen: verwundet, am Tropf hängend. Zwar reißt sie sich die Infusion ab und singt los – doch weder hier noch den ganzen Abend über will sich die mitreißende Emotion von Verdis „Trovatore“ einstellen: Infusion missglückt.
Das liegt zu allererst an Dirigent Guido Rumstadt. Aus dem abgedunkelten Orchestergraben ließ er zwar die leise einleitenden Paukenwirbel noch dunkel, geheimnisvoll und düster wie die kommende Handlung klingen. Aber schon der folgende martialische Tutti-Einsatz, der die Welt des gewalttätigen Grafen Luna beschwören soll, missglückte. Dann folgten viele spannungslos breite Phrasen – und wohl um orchestrales „Feuer“ aufzumachen, übersetzte Rumstadt durchweg „forte“ falsch: er ließ das Orchester laut werden, nicht „stark“ in Emotion und Ausdruck. Prompt hatten es alle Sänger schwer. Denn unter Opern-Fans gilt Verdis „Action-Thriller Troubadour“ halb ironisch als „ganz leicht“: Man braucht nur die vier besten Sänger der Welt. Die hat das Staatstheater Nürnberg nicht. Doch Mikolaj Zalanski (Luna), Ekaterina Godovanets (Leonora) und David Yim (Troudadour Manrico) mussten angesichts von Rumstadts Lautstärke immer an ihren vokalen Grenzen gehen. Lyrische Expansion, Steigerung zu einem Ausbruch und leuchtende „corona“ an einem Höhepunkt waren so kaum möglich. Am besten kam Roswitha Müller als Azucena zurecht, auch wenn sie von der Maske viel zu jung belassen wurde, um als – wenn auch nur behauptete – Mutter Manricos durchzugehen.
So kam wenig Rettung aus Verdis eigentlich fesselnder Musik. Die hätte die Szene dringend gebraucht. Regisseur Kovalik lieferte allen Gegnern sogenannten „Regie-Theaters“ durchgängig Stoff zur Ablehnung. Er verlegte die ohnehin sprunghafte Handlung mit ihrer schwierigen Vorgeschichte in eine Bürgerkriegsruine zwischen dem baskischen Guernica und Syrien. Doch Hermann Feuchters Einheitsbühnenbild erwies sich als Korsett, das die ganz modern sprunghaft wechselnden Schauplätze nur verunklärte – und Regisseur Kovalik deutete zusätzlich um. So war das einleitende Feldlager, in dem Truppenchef Ferrando die Vorgeschichte erzählt, ein faschistoides Festbankett, bei dem Leonora die Gäste mit Weintrauben bewarf, während dazu gleichsam surreal aus einem Beichtstuhl-artigen Wandschrank das Mädchen Azucena samt Mutter traten, dann deren Hexenverbrennung samt Kindsraub durch Azucena „erklärend“ vorgeführt wurden. Auch später kam es zu rauch-umwaberten surrealen Schrank-Auftritten. Leonora schwärmte dann am Tisch von ihrem Troubadour – der als greller Rock-Star auftrat, ohne dass das Duell mit dem Rivalen Luna und Manricos vermeintlicher Tod klar wurden. Bruchlos übernahm dann die Bankett-Gesellschaft den Zigeuner-Chor und stellte dazu als Abgrenzung die Tische zwischen sich und Azucena. Wer dann Manricos Rebellentruppe und wer Lunas Armee angehört, verwischte sich völlig. Zwar hoben sich Ruinenteile, um Platz zu schaffen. Dass dann zu Azucenas Erzählung von der Verbrennung der Mutter vorne eine Wand mit Heizkörper hochfuhr, blieb unverständlich wie vieles in der wirren Fülle. Aktionismus in Nebenhandlungen war wichtiger als Personenregie – und lieferte Argumente für Anhänger von „Reclam-Heftchen-Inszenierungen“. Schade – aber das Verdi-Jahr beginnt ja erst.