Text:Tobias Gerosa, am 17. September 2012
Der erfolgreiche Operndirektor ist jetzt Intendant in Berlin, in Basel führt der Intendant die Opernsparte selber – doch die erste Premiere setzt die Linie nahtlos fort. Georges Delnon hat für Leos Janaceks „Katja Kabanowa“ einen (Noch-)Berliner eingeladen: Armin Petras, der zum ersten Mal eine Oper inszeniert. Man kann nicht sagen, dass dieses erste Mal misslungen wäre. Dafür hat der Abend zu viele intensive Momente, dafür sind die Figuren zu genau gestaltet. Richtig warm wird man mit der Regie aber auch nicht. Zu wenig vertraut der Regisseur der Musik, zu viel lädt er auf die Geschichte, das ihr nicht wirklich weiterhilft.
Statt russischem Kaff an der Wolga stellt Kathrin Frosch einen Plattenbau ins fusstiefe Wasser – halbfertig oder schon halb abgebrochen. Unten schwingt ein Pendel, oben betreibt Kabanicha (Dagmar Peckova gibt ihr die nötige schneidende Härte) eine Chemiefabrik. Folgerichtig führt die Flucht von Katja vor dem starren System Ehe nicht über den Fund des Gartentorschlüssels, sondern denjenigen der dicken Betontür. Dabei spielt dieses System hier kaum eine Rolle, ohne dass etwas an seine Stelle treten würde.
Petras stilisiert, fügt mit Peter Moltzen einen zweiten Tichon ein: Auch wenn Katjas ungeliebter Ehemann fast das ganze Stück verreist ist, bleibt er so präsent, plantscht, spricht stumm ins Publikum. Tichon ist hier ein genauso armer Hund wie Katja – aber das hätte man auch durch Tomas Cernys klar konturiert gesungene Figur mitbekommen. Denn in der Figurenzeichnung und in der musikalischen Interpretation überzeugt der Abend: Wo Petras mit den Figuren arbeitet, entstehen spannende Konstellationen. So im ersten Akt zwischen Warwara und Katja, wo Solenn‘ Lavanant-Linke und Mary Mills szenisch und musikalisch bezwingend die Sehnsüchte der jungen Frauen spürbar machen. Die riesenhaften Videoprojektion von Katjas Gesicht wirkt dabei bemühter als die schöne Idee, die beiden weit auseinander zu platzieren: Manche Gespräche und Geständnisse sind einfacher, wenn man das Gegenüber dabei nicht sieht.
Es gibt einige sehr fein inszenierte Stellen: Das scheue Werben Boris um Katja, der bei Ludovit Ludha ein angejahrter Verehrer ist, der eine letzte Chance ahnt. Das scheue Zusammentreffen mit Katja, die Kommentare des jungen und hoffnungsvolleren Paares Warwara und Kudrjasch (Norman Reinhard und Lavanant-Linke als ideal strahlende Besetzung).
Doch über alles betrachtet verkleinert Petras die Geschichte auf einen Unterdrückungsfall: Neulich hinterm Platenbau. Symptomatisch, wie die große Gewittermusik durch Aktion verdeckt würde, wenn Enrico Delamboye mit dem Basler Sinfonieorchester der Musik nicht mit Nachdruck Aufmerksamkeit schaffen würden. Ganz sanft steigen sie in die Partitur ein, in den romantischen Gestus, mit dem die utopischen Liebesmomente gestaltet sind, mischen sich in den gut anderthalb pausenlosen Stunden immer mehr Kanten und Härten: Die szenisch-musikalische Wirkung ist soghaft, ohne laut zu werden und trägt Mary Mills (wie schon in der Stuttgarter Inszenierung Jossi Wielers) in der Titelpartie zu einer von innen glühenden Intensität. So schlank und fokussiert, so warm und differnziert wirkt ihr Rollenportrait so anrührend, wie man es nur wünschen kann. Das wird von diesem Abend in Erinnerung bleiben.