Foto: Annika Schilling, Jonas Friedrich Leonhardi und Philipp Lux in Christian Lollikes "Das normale Leben". © David Baltzer
Text:Michael Bartsch, am 28. September 2012
Immer wieder nehmen die drei Akteure, schon durch ihre Textbezeichnung A, B und C als austauschbar gekennzeichnet, Anlauf für ein „normales Leben“. Wie das aussehen könnte, wird eigentlich nur in der Negation dessen erahnbar, was sich auf der Bühne tatsächlich abspielt. Offenkundig sind es jene fatalen inneren Zustände nicht, in die die Versuche nach dem wiederholten „Reset“ regelmäßig abdriften. „Aber wollten wir denn nicht eine Huldigung an die Lebenslust verfassen?“, fragen sie sich formelhaft nach jeder gescheiterten Runde.
Der 39-jährige bekannte dänische Autor und Theatermann Christian Lollike hat sich in Dresden für sein Stück „Das normale Leben oder Körper und Kampfplatz“ inspirieren lassen. Ein Vierteljahr lang profitierte er von einem Austauschprojekt zwischen dem _Kongelige Teater_ in Kopenhagen und dem Staatsschauspiel Dresden. In die andere Richtung wanderte der Deutsche Martin Heckmanns. Lollikes Ergebnis wurde in Aarhus bereits uraufgeführt, ein zweites Stück, „Der Schacht“, kommt im nächsten Frühjahr. Das weit über regionale Bedeutung hinausgehende „Normale Leben“ hatte nun im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels seine deutschsprachige Erstaufführung.
So skurril wie Lollikes Text und die Regie von Hauke Meyer angelegt sind, begegnet dem Zuschauer auch das Bühnenbild von Jeremias Böttcher. Eine große Wand mit Schubladen, an die Schuhkastenwände auf den Fluren früherer Internate erinnernd, deren Schübe sich als vielseitige Pappquader herausstellen. Mal farblich zum Gartenidyll mit Sonne zu arrangieren, dann mit der Spiegelseite den Bildschirm oder Zerrspiegel vorstellend, schwarze Löcher symbolisierend oder, wie auf Schultafeln mit Kreide, die Formel des Lebens suchend. Dazu ein senkrecht stehendes Sofa und ein Mehrzweckschrank, der auch als Toilette oder Brüll- und Schmeißzelle fungiert.
Und die scheint als Ventil dringend nötig angesichts des Dauerdrucks, der auf diesen drei bemitleidenswerten Zeitgenossen lastet. Keine primitive Diktatur verbreitet die Angst unter diesen ach so befreiten modernen Menschen. Sie scheitern an ihrer Unfähigkeit zur Freiheit, zu Nonkonformität und damit zu wahrhafter Individualität. Lollike ätzt mit seinen pointierten und von Gabriele Haefs zielsicher übersetzten Dialogen damit sowohl gegen den Einzelnen wie auch gegen die Verhältnisse, die wie einst bei Brecht eben „nicht so sind“. In denen ist Freiheit jedenfalls nur ein erbärmliches Postulat, dem nur wenige gewachsen sein mögen.
Diese drei sind es nicht, sie ringen permanent mit der „inneren Stasi“. Die greift mit ihren ungeschriebenen Gesetzen durch, mit subtilen Anpassungszwängen an das „Normale“. „Tun, was alle tun“, heißt es, auf Arbeit immer lächeln, das Normgewicht halten, das Familienidyll um jeden Preis vortäuschen. „Das Fitnessstudio ist meine Kirche“, treffender kann man die Sinnenleere nicht beschreiben, vor der die Protagonisten gelegentlich selbst erschrecken. Und ständig lauert einer, der Noten gibt, lauern Gefahren, die Handystrahlung, Gift im Spielzeug, der Terror, das Fremde und die Fremden. Huxley oder Orwell und die Entfremdungstheoretiker lassen grüßen. Aber nicht aus der Ferne. Diese Erscheinungen kennt jeder, der sich selbst ein bisschen kennt.
Annika Schilling, Philipp Lux und der junge Jonas Friedrich Leonhardi aus dem Schauspielstudio bekamen ebenso wie das Leitungsteam wohl deshalb so intensiven Beifall, weil sie dieses Ringen um Authentizität so authentisch demonstrierten. Genau, unaffektiert und in den Zusammenbrüchen glaubwürdig betroffen zeigten sie, wie wir immer mehr Überforderungen erliegen, anstatt uns in befreiendem Wohlstand zu emanzipieren. So grundehrlich wie der Text ist auch das Spiel. Der Witz, die originellen Regieeinfälle dienen der Sache und überhöhen oft den „So isses“-Affekt.
Lösung scheint auch bei Lollike nur als Flucht in Träume möglich, zuletzt in einen merkwürdigen Epilog in Versailles. Oder in die üblichen Drogen, Placebos zumeist. Zum Motzen, zu einem „Empört Euch!“ reicht es auch diesmal noch nicht. Wohl, weil wir uns auch gegen uns selber empören müssten.