Foto: Glenn Goltz und das Ensemble in einer Szene von "Rote Erde" am Schauspiel Essen. © Birgit Hupfeld
Text:Andreas Falentin, am 28. September 2012
„Rote Erde“ war ein Fernsehmehrteiler im Jahr 1983, eines der letzten TV-Ereignisse, das sowohl durch überdurchschnittliche Qualität als auch durch hervorragende Zuschauerresonanz glänzte. Es ging um die Entwicklung des Kohlebergbaus um die vorletzte Jahrhundertwende. Mit demselben Titel, basierend auf derselben Vorlage, einem Roman von Peter Stripp, ereignete sich jetzt in Essen höchst ungewöhnliches Theater.
Auf der Bühne stehen Liegestühle. Zwölf junge Männer flegeln sich hinein und beginnen ungeheuer diszipliniert, chorisch zu sprechen. Ums Leben geht es und darum, wie schwer es ist, seinen Platz darin zu finden, besonders, wenn man die wenigen Chancen, die man bekommt, nicht nutzt. „Im Kämpfen bin ich nicht so gut“, ist der Refrain des gesprochenen Liedes. Die Laiendarsteller – „leidenschaftliche Ruhrpöttler, meistens ohne Job“ – räumen die Liegestühle beiseite, und das Spiel der Profis beginnt, im leeren vernebelten Raum. Der harte, immer härter und undankbarer werdende Arbeitsalltag der Bergleute ist das Thema, ihr Aufbegehren, ihre Chancenlosigkeit, ihr Nicht-Aufgeben. Die Laiendarsteller werden als Alter Egos der Hauptfigur Bruno mit in die Erzählung hinein genommen.
So schafft es Volker Lösch, sein hochenergetisches Sprechoratorium zwischen Arbeitskampf und dem Kampf um Arbeit anzusiedeln. Die Jungs stellen ihre extrem körperliche Ausstrahlung und ihre Wut zur Verfügung, aus der Inszenierung und Schauspieler lapidare, aber schwer zu widerlegende Aussagen formen. Die Konflikte der Bergleute mit Zechenbesitzern, Politikern und untereinander wirken ganz heutig. Entfremdung in Arbeit und Leben wird nicht beklagt, sondern mit eminent zielgerichteter, analytisch grundierter Aggression gnadenlos seziert. So wird an der aus dem Bergbau in die Politik wechselnden Figur Karl unaufdringlich gezeigt, wie politische Prozesse Politiker von regierten Menschen fast zwingend entfernen.
Das komplette Ensemble beeindruckt durch bewussten, ausstrahlungsstarken Umgang mit Körper und Wort, fast immer laut, aber nie flach oder nervig. Der Abend schwingt weit aus, von Kaiser Wilhelm in Berlin bis Opel in Bochum, von der verzweifelten Liebe zum Ruhrgebiet zur Wut auf die unter dem Signet „Strukturwandel“ ablaufenden und allzu oft öffentlichkeitswirksam manipulierten Vorgänge. Berührend wird es durch die Sehnsüchte, die immer wieder die hart exekutierten Sottisen umspielen und konterkarrieren. Sehnsucht nach ökonomischer Sorglosigkeit, nach Heim, Kindern und ein wenig Luxus, aber auch nach der anarchistischen Gesellschaft („Sozialismus plus Freiheit“) und dem Schlaraffenland, in dem der Faulste der Größte ist. „Man ist, was man aus sich macht“, sagen die Jungs am Ende. Immerhin.
Zwei pausenlose Stunden durch bleibt die Konzentration hoch, wird das Publikum förmlich in die Sitze gepresst – eine große Sache und ein unerhörter Beweis für die ungebrochene Lebenskraft politischen Theaters.