Foto: Jenufa (Kristine Opolais) und die Küsterin (Michaela Martens) im beeindruckenden Bühnenbild © Monika Rittershaus
Text:Tobias Gerosa, am 24. September 2012
„Offen!“, prangt plakativ am Opernhaus Zürich, und die Mitteilung ist klar: Nach über 20 Jahren Intendanz Alexander Pereiras soll sich das Image ändern. Die erste Premiere hat natürlich programmatischen Charakter: ein Werk des 20. Jahrhunderts, ein hoch gelobter neuer Regisseur und der neue Chefdirigent.
Das Versprechen, der Szene mehr Gewicht zu geben, wird durch die Regie Dmitri Tscherniakovs sicher eingelöst. Vor der sehr genauen Personenführung fällt aber sein aufwändiges Bühnenbild auf: ein dreistöckiges Haus (ganz ähnlich der Bühne der Basler „Katja Kabanowa“, die letzte Woche herauskam), das vertikal verschoben wird, um die jeweils wichtigen Stockwerke sichtbar zu machen. Unten ein heutiges, aber ziemlich steriles Wohnzimmer, in dem die Großmutter ihrem Leben als Star nachträumt – Hanna Schwarz beherrscht die Szene unheimlich, auch wenn sie wenig zu singen hat. Im ersten Stock: Jenufas Zimmer, in dem sie ihr uneheliches Kind zu Welt bringt und von ihrer Stiefmutter versteckt wird, um diese Schande zu verbergen; vom Dachgeschoss, dem Reich dieser Stiefmutter stürzt das Kind schließlich aus dem Fenster. So spektakulär das Bild auch ist, Tscherniakov schafft sich grundsätzliche Probleme, die er auch mit der spannenden, in überzeugende Bilder gefassten Frage nach der Konstellation der drei Generationen nur zum Teil vergessen machen kann: Für wen ist ein uneheliches Kind heute noch ein Grund, die Mutter zu verstoßen? Für die Hipster-Gesellschaft um Pavol Bresliks leichtgewichtigen Steva jedenfalls kaum. Dafür ergibt sich eine sehr schöne Chorszene, wenn sich Jenufa gegen die ganze Schar stellt und um ihren Verlobten kämpft – scharf beobachtet von Christopher Ventris‘ bärig-gemütlichem Laca, der dieser jugendlichen Leichtsinnigkeit längst entwachsen ist.
Bei Tscherniakov entführt die frustrierte Küsterin, die Michaela Martens bei aller vokalen Durchschlagskraft differenziert, mit vielen Zwischentönen, anlegt, das Kind und versteckt es in ihrem Dachstock, um es als Ersatzmutter aufzuziehen. Das gibt der Figur neue Facetten, aber der Kindsmord verkleinert sich zum Unfall. Am wenigsten betroffen davon ist die Titelfigur: Kristine Opolais überzeugt darin als sehr intensive Sängerdarstellerin, die ihre inneren Nöte sicht- und hörbar machen kann. Allerdings droht sie manchmal von den Orchesterwogen zugedeckt zu werden und muss so die sängerische Feinzeichnung zu Gunsten des Kraftaufwands aufgeben – der Abend verliert dann seine Kammerspielqualitäten.
Generalmusikdirektor Fabio Luisi hat das Opernhausorchester zu Philharmonia Zürich umbenannt, was international besser verkäuflich sei. Er stand bei der Premiere von „Jenufa“ zum ersten Mal im Zürcher Graben – und nicht als erster wird er im relativ kleinen Theater zu laut: Kein sehr guter Einstieg (auch wenn er bejubelt wurde), weil Luisi auch den spezifischen Tonfall Leos Janáceks kaum trifft. Es kann auch zu viel an Wohlklang sein, wenn die Kanten abgeschliffen werden: gerade bei Janácek leidet die dramatische Glaubwürdigkeit darunter. Im Anspruch, Musiktheater mit Bezug zum Heute zu machen, ist das Opernhaus mit dieser ersten Premiere der Intendanz von Andreas Homoki szenisch einen Schritt vorangekommen. Musikalisch noch nicht.