Foto: Ein von der erstickenden Übermacht seines Vaters gebrochener Mensch: Torsten Süring als Robert Hot. © Stephanie Lehmann
Text:Barbara Eckle, am 23. September 2012
„Ruhig, Robert.“ R.Hot streichelt sich beschwörend über die eigenen Wangen. Aber es hilft alles nichts. Um dem Würgegriff seines Vaters zu entkommen, ist Robert Hot, ein junger britischer Adeliger, nach Italien in den Kriegsdienst gezogen, wo er aus Liebe zur unnahbare Prinzessin Carignan desertiert. Doch sein Vater holt ihn zurück und will ihn zur Raison bringen – mit der fatalen Lüge, die Prinzessin heirate einen anderen.
Robert ist ein von der brutal erstickenden Übermacht seines Vaters gebrochener Mensch. Die Offenkundigkeit, mit der die Regisseurin Isabel Ostermann diese Diagnose in der Werkstatt der Berliner _Staatsoper im Schillertheater_ in den wohltuend leeren, abstrakten Raum stellt, lässt keine Missverständnisse zu, wenn – am Punkt der unerträglichen Verzweiflung – Musik und Handlung ins Groteske, Komische quasi überschnappen. So versteht man Roberts rasende, von Ratschen begleitete Serenade vor dem Fenster der Prinzessin im vierten Akt als eine Art Meta-Tragödie, die es den Zuschauern ermöglicht, dem Titelhelden bis unter die Haut zu folgen; ein Prinzip, das Friedrich Goldmanns dialogisierende, reflektierende, alle Possen entlarvende Musik spiegelt. Mit elektronisch verstärkten Instrumenten hält der große DDR-Komponist in seiner Kammeroper für Bläserquintett, Kontrabass, E-Orgel, Schlagwerk und Tonband „R. Hot bzw. die Hitze“ im Jahr 1974 die Tür zu einer inneren, anderen Wirklichkeit weit offen.
Glänzend transportiert der Charaktertenor Torsten Süring mit seiner so hyperpräsenten wie gefühlsanfälligen Stimme Roberts Intensität am Rande des Verstandes und darüber hinaus. Die armenische Sopranistin Narine Yeghiyan, die der Prinzessin stimmlich eine wunderbare Mischung von Erhabenheit und Verletzlichkeit verleiht, muss bei der Premiere wegen eines Gipsbeins auf der Bühne ersetzt werden, doch gelingt dies mit erstaunlicher Glaubwürdigkeit.
Die Schmucklosigkeit der abstrakten Inszenierung und Ausstattung lenkt den Blick dezidiert auf die Beschaffenheit der Vater-Sohn-Beziehung, die hier in all ihrer Unerbittlichkeit und Pathologie offenbart wird. So wie zahlreiche eingeschobene Texte verraten schon die ersten Worte des zu Anfang eingespielten O-Tons von Ulrike Meinhof: „Privatangelegenheiten sind immer irgendwie politisch“, dass dieser Vater-Sohn-Fokus als Parabel zu verstehen ist. Unterdrückung und Machtmissbrauch über die Grenze des Verkraftbaren hinaus nötigt den Menschen zur Rettung in eine andere Welt, eine andere Realität, die je nach Perspektive dem sogenannten Wahnsinn gleicht. Wie das im Mikrokosmos familiärer Beziehungen aussieht, zeigen die Übersprungshandlungen, mit denen R.Hot auf seinen Vater reagiert in dieser entsprechend grotesk benannten „Opernphantasie in über einhundert dramatischen komischen phantastischen Posen.“
Das utopische Happy End mit der glücklichen Flucht der Liebenden, das Goldmann und sein Librettist Körner der dramatischen Vorlage „Der Engländer“ von Jacob Michael Reinhold Lenz konsequent angedichtet haben, lässt Ostermann jedoch heute, 2012, nicht gelten. Mit einer subtil gewalttätigen Ebene straft sie alle Fröhlichkeit des Schlussduetts sowie des eingespielten Chors der Jungpioniere Lügen. Die DDR-Garderobe, in der Lord Hot und seine Entourage im letzen Akt auftauchen, die Prinzessin ausziehen und angrabschen, legt nah, dass diese doppelte Entrückung mehr ein Diktat der geschichtlichen Distanz ist als ein Spiegel der Gegenwart. Ein geistiges Aufbegehren dieser Art wäre hier und heute in der Tat ebenso anachronistisch wie wirkungslos. Wogegen genau denn aufbegehren? Wenn man das bloß wüsste!