Foto: Agnes Mann (Alkmene, Gemahlin des Amphitryon), Bernd Hölscher (Amphitryon, Feldherr der Thebaner), Christina Weiser (Charis, Gemahlin des Sosias) und Uwe Steinbruch (Sosias, Diener des Amphitryon). © N. Klinger
Text:Juliane Sattler-Iffert, am 17. September 2012
Wie sie dieses „Ach“ sagt, das berühmte und wohl vieldeutigste der Theatergeschichte. Die Alkmene in Kassel sagt es klein, beilaufig und fast abschätzig mit einem Blick auf ihren Feldherren-Gatten. Ja, das ist ihre Realität, vielleicht ihr ganzes Leben. Gott Jupiter, der die schöne Menschenfrau zwei Liebesstunden in der Gestalt ihres Ehemannes besucht hat, steigt derweil auf einer Leiter in den Bühnenhimmel. So entschwindet ein Traum.
Manege frei für die Clowns und Artisten. Am Kasseler Schauspielhaus inszeniert Hausherr und Regisseur Thomas Bockelmann den „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist beim Saisonauftakt im Kasseler Schauspielhaus in einer sinnfällig gekürzten Fassung als ein federleichtes Spiel um Identitäten und die Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit. Im Manegenrund mit der Schaukel ist das schlichte Haus mit der blauen Tür (Bühnenbild: Gralf-Edzard Habben) der Tatort für einen vom Eros getriebenen Gott. Zu Beginn, wenn die Glühbirnen das Wort NACHT in den Raum funkeln, stößt der Jupiter von Enrique Keil mit nacktem Oberkörper das Fenster auf, ein Mann wie ein Gott. Von unten räkelt, nein schlängelt sich die Alkmene von Agnes Mann sinnestrunken neben dem vermeintlichen Gatten. Liebesglück, Liebestraum.
Als der wirkliche Amphitryon aus dem Krieg heimkehrt, beginnt der Identitätswirrwarr in dieser Sprach-gleißenden Komödie beginnt. Die Inflation des Ichs findet besonders bei Uwe Steinbruch, der als Sosias in tumber Einfältigkeit über die plötzliche Doppelung seines Selbst rätselt, zu hinreißenden komödiantischen Miniaturen. Im Widerstreit mit dem göttlichen Doppelgänger und Jupiter-Atlatus Merkur (Jürgen Wink, smart-lässig) und der Auseinandersetzung mit seiner Frau Charis (Christina Weiser, praktisch und berechnend) atmet die Kasseler Inszenierung dann wirklich Zirkusluft. Die Clowns sind da.
Ach. Agnes Mann spielt die Alkmene träumend und berauscht in ihrem Jubeln und Hochschwingen auf der Schaukel des Glücks. Gerade weil sie immer bei sich selbst bleibt, ihrer Liebe vertraut und ihrem Gefühl, ist sie zum Schluss die am meisten Getäuschte. Am Ende eines langen, schmerzhaften Erkenntnisprozesses wählt Alkmene wissentlich den „falschen“ Amphitryon, „Lass ewig in dem Irrtum mich“, sind ihre vorletzten Worte. Ihr zur Seite gibt Enrique Keil seinen Jupiter als idealen Mann, den erträumten Prinzen auf dem weißen Pferd, mit edlen Gesten und fein angedeutetem Zwiespalt. Da kann Bernd Hölscher als wirklicher Gatte mit seinem Feinripp-Hemd unter dem Feldherren-Mantel (Kostüme von Ulrike Obermüller: Verspielt, mit nunacierten Unterscheidungsmerkmalen) nur verlieren, ein derber Poltergeist, ein trauriger Spießer.
Götter erschaffen, Menschen bleiben erdenverbunden. Der philosophisch-reflexive Gehalt der 1803 entstandenen Kleist-Komödie mit ihren für heutige Hörgewohnheiten durchaus schwierigen Dialogen kommt in der Kasseler Inszenierung leicht daher, ohne die Tiefen zu verraten. Als zum Schluss das Haus mit Donnergrollen einstürzt, sehen wir die Artisten unter der Zirkuskuppel ratlos. Von der verheißungsvollen „Nacht“ lassen die Glühbirnen nur noch das „Ach“ erstrahlen.