Foto: Alexandra Scherrmann als "wilder Kerl" in Bremen. © Jörg Landsberg
Text:Ulrike Lehmann, am 17. September 2012
Ziemlich brutal wird der kleine Max zum König über seine Stofftiere: erhängt seinen Teddy und zündet ihn an, schießt die anderen ab und köpft den letzten, bis ihm blutrote Kügelchen aus dem Hals springen. Also, nett und kuschelig geht es wirklich nicht zu im Kinderzimmer von Max, ein kahler Bühnenraum, wo der Junge im schneeweißen Teddykostüm seine Fantasie austobt.
Zum Spielzeiteröffnungswochenende am Theater Bremen hat der Brite John Fulljames die Fantastische Oper „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Oliver Knussen inszeniert, seine erste Regiearbeit in Deutschland. Das nur 50-minütige Werk nach dem Erfolgsroman von Maurice Sendak hat eine knappe Geschichte, die das Libretto nicht eben vorteilhaft (weil zu geschwätzig und wenig bildhaft-kindgerecht) erzählt: Nachdem Max gegen seine Mama allzu aufmüpfig war, muss er ohne Abendessen ins Bett und flüchtet sich vergnatzt in seine Traumwelt – eine Insel voll skurriler, wilder Kerle.
Als überdimensional großbusiges und staubsaugendes Ungeheuer erscheint seine Mutter (Tamara Klivadenko) nur im Schattenspiel, was köstlich aussieht, wenn sie anschließend auf Lebensgröße schrumpft, und Max ihr Staubsaugerschlangenmonster im Zweikampf besiegt. Überhaupt lebt die Inszenierung durch jene auf die weißen Kinderzimmerwände projizierten Schatten- und Videobilder (Ian William Galloway), die Max’ Fantasiereise naiv abbilden: zackige Wellen und Gestirne auf seiner Überfahrt zur Insel, Wale und Meeresungeheuer und Palmen. Das plötzliche Auftauchen der Inselbewohner jagt Max dann doch gehörig Ehrfurcht ein, als sie – unverständlich brabbelnd und laut grölend – die Papierwände seines Zimmers zerreißen, als seltsame Mischwesen: ein zwerghafter, zotteliger Greis, eine Frau mit vorn und hinten gedoppeltem Körper, ein daumenlutschendes Riesenbaby, ein bläulich-halbnackter Dickbauch. Die junge Sopranistin Alexandra Scherrmann gibt sich als Max alle Mühe, die Zerrissenheit des Bengels auszuspielen, zieht sich mal scheu zurück, bringt sich dann wieder grimmig guckend und armewedelnd in Kampfstellung. Mit beachtlicher Leichtigkeit gelingt ihr die koloraturreiche Partie, vom Text jedoch werden die jungen Zuschauer zu wenig mitbekommen – zumal die Übertitel für kleine Köpfe sinnlos unerreichbar in oberster Höhe des Bühnenportals hängen.
Die musikalische Leitung obliegt Chordirektor Daniel Mayr, lustvoll doch wohldosiert lässt er die blechlastigen, schrillen Klänge krachen. Musikalisch sicher eine aufwühlende Erfahrung für das junge Publikum ab acht Jahren, interpretatorisch hingegen bleiben Fragen offen: Der größte Spaß, den Max mit seinen skurrilen Wilden hat, scheint aus Zerstörung und Ausflippen zu bestehen. Sie wollen „Spektakel“, zerreißen die Papierwände und holen Instrumente aus dem Orchestergraben, um sie in ihre Einzelteile zu zerlegen. Erst als alle in tiefen Schlaf fallen, und Max Hunger kriegt, bleibt die knappe Schlussmoral: Mamas heiße Suppen sind eben doch besser als alle Abenteuer. So segelt er heim und nimmt dankbar ihren Topf entgegen…
Als Bekenntnis zu jungem Musiktheater im Bremer Spielplan ein prima Start für Michael Börgerding in eine ohnehin höchst verheißungsvolle Spielzeit! Als Interpretation von Oliver Knussens Kinderoper eher ein Plädoyer gegen dieses Werk.