Foto: Elektra (Angelina Häntsch) und Familie in der Version von Nino Haratischwili am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. © Sinje Hasheider
Text:Manfred Jahnke, am 10. September 2012
Elektra ist wie Antigone absolut in ihrer Haltung zur Umwelt. Sie begreift sich als die Rächerin ihres Vaters, den die Mutter mit ihrem Liebhaber im Bad erschlagen hat. Verhärmt wartet sie nun darauf, dass endlich der Bruder Orest komme, um diese unerhörte Tat zu rächen. Wie stets in der griechischen Tragödie vermischen sich Mythologie, Familienangelegenheiten und Politik unauflöslich miteinander. Diese Geschichte einer Rächerin ins Heutige zu verlegen, das hat die junge Autorin Nino Haratischwili, eine Georgierin, die in Hamburg lebt und in beiden Sprachen schreibt, sich vorgenommen. Sie lässt Elektra als Moralistin auftreten, die mit ihrem Bruder Orest, wie sie es sich einst als Kinder versprochen haben, eine neue schöne Welt gründen will, aber sie steht dabei allein, weil ihre Haltung durch nichts geerdet ist: Hier hat sich Agamemnon im Bad selbst die Pulsadern aufgeschnitten, weil er offensichtlich die grausamen Bilder aus Troja nicht vergessen kann, die Vergewaltigungen, die Blutspur, die er hinterlassen hat. Und auch Orest, den der Vater auf seinen Feldzug mitgenommen hat, wird in diesem Krieg traumatisiert. Schwer verwundet wird der von der kriegsgefangenen trojanischen Prinzessin Polyxena gepflegt. Und sie hat nun ein wirklich geerdetes Rachemotiv, nämlich den schändlichen Tod ihrer Schwester Kassandra. Deshalb auch kommt sie nach Griechenland. Auch, wenn es so scheint, als ob sie und Orest sich lieben, verlieren sich alle in den Krieg, den Elektra führt um Orest an die alten Versprechen zu erinnern. Da verbirgt sich denn doch auch ein gehöriges Potenzial an Geschwisterliebe. Diese inszestuöse Liebe lässt Elektra infantil erscheinen. Sie ist das trotzige, verwöhnte Kind, das sich an die Vergangenheit klammert, aber die Gegenwart nicht sehen will. Am Ende dann will Orest mit der von Polyxena gebastelten Bombe alles in die Luft fliegen lassen, aber bevor dies geschieht, gibt es einen Black.
In der Uraufführungsinszenierung am Jungen Schauspielhaus Hamburg konzentriert sich Klaus Schumacher auf die Psychologie dieser Figur und das Psychogram einer zerfallenen Familie. Angelina Häntsch spielt Elektra im weißen Kleidchen, am Anfang ein bisschen herb – kämpferisch, sich immer mehr versteifend, wenn sie um Orest kämpfen muss. Sie lässt dann auch nachdenkliche Töne zu. Der Orest des Florens Schmidt hingegen ist der desillusionierte Altachtunssechziger, Katharina Lütten als Polyxena spielt die überlegene „Feindin“, Christine Ochsenhofer und Hermann Book das Highsociety-Ehepaar, das vom Elend der Welt lebt. Katrin Plötzky hat ein Bühnenbild geschaffen, in dem die Farbe Rot dominiert. Auf dem Hintergrundprospekt erscheint eine rote Landschaft mit einzelnen Bäumen, der Boden ist eben eine solche Landschaft, durch die sich ein Bach schlängelt. Mitten in dieser Landschaft stehen weiße Ledersofas, wie auch in den Kostümen von Heike Kastler die Symbolfarben dominieren. Was aber will uns die Inszenierung und Stück mitteilen? Dass die Welt nicht verändert werden kann? Oder aber alle sich in Elektras verwandeln sollen?