Foto: Ann Kathrin Doerig, Isabell Giebeler und Christina Huckle in der Uraufführung von "Demut vor deinen Taten, Baby" am Theater Bielefeld. © Philipp Ottendörfer
Text:Stefan Keim, am 6. September 2012
Sie stürmen die Bühne und schießen mit scharfen Sätzen. Drei Frauen rotzen ihre Schicksale heraus. Lore taumelt durch die Welt und hat eine Riesenwut in sich aufgestaut. Bettie nennt ihren Lebensgefährten „Junge“ und nimmt es hin, dass er zu Pornofilmen onaniert. Und Mia träumt sich in eine Westernwelt, in der sie ein Cowboy ist und ein sprechendes Pferd reitet. Hart, direkt und ganz ohne Selbstmitleid gehen die drei miteinander und dem Publikum um. Und man spürt sofort: Das ist ein eigener, rauer, witziger Tonfall, mit dem die 22-jährige Laura Naumann ihr Stück „Demut vor deinen Taten, Baby“ beginnt.
Weniger als eine Stunde dauert die Uraufführung im TAM zwei des Theaters Bielefeld. Und doch packt Laura Naumann eine Menge Handlung und Situationen in ihren pointierten, tempogeladenen Text. Die drei Frauen lernen sich auf der Toilette eines Flughafens kennen. Sie sitzen in ihren Kabinen, als plötzlich Alarm ausgelöst wird. Ein herrenloser Koffer in der Damentoilette – das ist schon sprachlich eine Absurdität. Der Flughafen wird geräumt, das Trio muss sitzen bleiben. Sie haben Angst knien sich auf den Boden und halten sich durch die Öffnungen zwischen den Kabinen an den Händen. Ein tolles, seltsames, gefühlvolles Bild. Der Beginn einer Schicksalsgemeinschaft.
Sie bleiben zusammen und bilden eine Spaßguerilla. Die Frauen überfallen Clubs und einen Supermarkt, ballern mit Platzpatronen herum, nehmen Geiseln. Damit geben sie weiter, was sie selbst erfahren haben. Durch das Erlebnis von Todesangst fühlen sich die Menschen befreit. Bald wird das Trio von der Wirtschaft gesponsert, weil die Aktionen die Konsumfreude anstacheln. Doch als die drei zu erfolgreich werden, die Leute nicht mehr arbeiten und ihre Versicherungen kündigen, gefährden sie das System. Nun wird es wieder richtig gefährlich.
Wie sich die drei eine rasante Mischung aus Prosa- und Dialogsätzen um die Ohren hauen, erinnert ein bisschen an René Pollesch. Ein Vorbild für den Plot könnte Ridley Scotts Frauen-Roadmovie „Thelma & Louise“ gewesen sein. Doch Laura Naumann ist vor allem eine frische, eigenständige Stimme in der jungen Dramatik. Neben dem hohen Unterhaltungspotential enthält „Demut vor deinen Taten Baby“ auch einen bösen Blick auf die Generation der Zwanzigjährigen. Denn politisches Bewusstsein haben die drei Spaßterroristinnen nicht. Dass sie plötzlich vom kapitalistischen System aufgesaugt werden und Konsumbeschleuniger sein sollen, macht ihnen überhaupt keine Sorgen.
Oft suchen die Regisseure bei Uraufführungen neuer Stücke nach abstrahierenden Formen und Spielweisen. Kaum jemand vertraut einem Text. Deshalb ist die Leistung der Regisseurin Babett Grube hoch einzuschätzen. Denn sie inszeniert überhaupt keinen überflüssigen Schnickschnack, sondern ein kraftvolles, explosives Textfeuerwerk. Isabell Giebler, Christina Huckle und Ann Kathrin Doerig zeichnen ihre Charaktere mit schroffen, klaren Strichen und feuern dem Publikum ein Rockkonzert aus Sprache um die Ohren. Krass, laut, brodelnd. Wer nicht mehr jung ist, fühlt sich während dieser starken Theaterstunde so. „Demut vor deinen Taten Baby“ wird am Wiener Burgtheater und in Braunschweig nachgespielt. Andere Bühnen werden folgen, das wird ein Studiohit. Und die gerade beginnende Theatersaison hat mit Laura Naumann ihre erste Entdeckung.