Foto: Massimo Cavalletti (Marcello) und Anna Netrebko (Mimi) in "La bohème". © Silvia Lelli
Text:Tobias Gerosa, am 2. August 2012
So stellt sich klein Franzl moderne Opernregie vor: Heutig aufgehübschte, stimmige Arrangements, in welchen sich die Stars ungestört ihren schönen Töne widmen können. Davon gibt’s viele in der allerersten „Bohème“ bei den Salzburger Festspielen, schließlich stehen Piotr Beczala und vor allem Anna Netrebko auf der Bühne und sorgen für eine Auffahrt an Halb- oder Ganzprominenz, wie sie seit Karajans Zeiten nicht mehr gesehen worden sei. Wagt man es, sich im großen Festspielhaus nicht sofort auf seinen Sitz zu setzen, beklagt sich die Reihe dahinter, sie würden nicht mehr sehen, wer denn jetzt alles hereinkomme. Nun ja.
Aber immerhin macht Dirigent Daniele Gatti mit den in den Auftrittsapplaus geschmetterten ersten Tönen klar, dass es hier auch um Musik geht. Einiges müsste nicht so laut exekutiert werden, wie es die brillanten Wiener Philharmoniker bei der Premiere taten. Doch wie die Partitur hier mit Ecken und Kanten interpretiert wird, wie Gatti nicht nur Stimmungen zaubert, sondern auch raffinierte Instrumentierungsdetails hörbar macht, gehört mit der Zartheit des Schlusses zum besten an diesem Abend.
So gut der Dirigent die Sängerinnen und Sänger führt, so wenig werden sie szenisch gefordert. Damiano Michielotto überlässt die Modernisierung seinem Ausstattungsteam (Paolo Fantin und Cara Teti), die die Künstler in atmosphärisch dichten, perspektivisch verfremdeten Bildern in ein heutiges Paris mit Metrostationen und Autobahnring versetzen. Dichter Rodolfo steht neben einer Videokamera mit VHS-Kassetten(!), Maler Marcello ist Plakatgestalter, bei Massimo Cavaletti mit kräftig-warmem, aber farb- und dynamikarmem Bariton. Es gibt solcher Äußerlichkeiten mehr, wie dass den Bohèmiens vor dem letzten Bild die nicht bezahlte Müll-Wohnung geräumt wird. Alle haben sie gemeinsam, dass sie für das, was und wie erzählt wird, nicht die geringste Auswirkung haben. Die Entwicklung der Rollen oder Motivierungen der Auftritte scheinen weder den Regisseur noch alle Sänger zu interessieren.
Am besten schlägt sich Piotr Beczala als lyrischer Rodolfo, auch wenn er im ersten Teil stimmlich noch unfrei wirkt. Er kann die Gefühle der Figur in vokalen Ausdruck übersetzen, am auffälligsten, wenn er die finalen Mimi-Rufe unerwartet leise singt. Und klar liegt die Rolle der Mimi Anna Netrebko bestens. Ihr Timbre hat die nötige Wärme, mühelos überstrahlt sie im Forte das Orchester und ihre Piani sind berückend. Aber ihre Rollengestaltung – so sehr oder gerade weil die die Produktion um sie herum gebaut wurde – berührt wenig, wirkt routiniert. Damit steckt sie auch Nino Machaidze Musetta an.
Als Hochburg szenischer Auseinandersetzung scheint – nach drei von fünf Premieren kann man das wohl sagen – Neuintendant Pereira Salzburg nicht positionieren zu wollen. Das war zu befürchten.