Foto: Ein Screenshot von der Homepage des Theaters. © Theater Junge Generation
Text:Michael Bartsch, am 20. Juli 2012
Man muss ihn auch am Dresdner Theater Junge Generation gern haben, diesen Pinocchio, der in der Fassung des Franzosen Joel Pommerat stets nur „Hampelmann“ heißt. Das hölzerne Wesen auf dem verschlungenen Weg zur Menschwerdung, alle Irrtümer und heilsamen Katastrophen einer Kindheit so pädagogisch wirksam auskostend, die Kraft, die stets das Gute will und leider meist das Böse schafft. Insa Jebens, wahrhaft clownesk ausstaffiert, ist bei der deutschen Erstaufführung in Dresden der Liebling der Kinder.
Beim reichlichen Schlussapplaus nach eineinhalb Stunden Spielzeit aber ist die mitgebrachte Skepsis nicht ganz beseitigt. Wie bringt man eine so lange und so verzwickte Geschichte einigermaßen schlüssig auf die Bühne? Pommerat, der immer populärer werdende französische Theatererneuerer und Compagniechef, hat seiner Pinocchio-Fassung ein klares Motto vorangestellt. „Nichts ist wichtiger als die Wahrheit … als in der Wahrheit zu leben“, vernehmen die Ü8-Besucher gleich zu Beginn den pädagogischen Zeigefinger. Klingt fast nach Václav Havels Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben“. Aber dieses Ringen um die vielleicht existente objektive Wahrheit zwischen der eigenen und der Wahrheit der anderen bleibt doch ziemlich nett und guckt sich in Dresden nicht so existenziell an, wie es sich im Originaltext liest. Und die vielen Stationen auf Pinocchios oder Zäpfel Kerns Reise werden nur gestreift, gehen manchmal etwas hastig vorüber. Die Brücken schlägt dabei sehr ernsthaft und verbindlich der Erzähler Alexander Peller.
Auf gesellschaftskritische Anklänge konnte man bei Pommerat gefasst sein, und unaufdringlich schimmern sie auch für Kinder verständlich ab und zu durch. Der frisch in die Welt geschnitzte Pinocchio zeigt sogleich das heutige Anspruchsdenken, mit dem die Zielgruppe im Zuschauerraum aufwächst. Nicht nur bei der Schulausstattung, sondern auch mit Forderungen an die Gesellschaft, die dazu da sei, „mir zu helfen, nicht zu lügen“. Haha, ausgerechnet diese Gesellschaft. Da geht seine Hilfs- und Wiedergutmachungsbereitschaft gegenüber dem Papa fast ein bisschen unter. Na und dann geht es natürlich um Geldanlagen, Fuchs und Kater mutieren hier zu menschlichen Ganoven und Rausschmeißern einer Music Hall. Und der Richter, der das Opfer Pinocchio verurteilt, ist eine prächtige Karikatur mit Hahnenkopf.
Regisseur Christoph Werner ist der erste, der eine Inszenierung von Pommerat in Deutschland nachschöpfen durfte. Mit Black´s und geschickten Lichteffekten übernimmt er auch typische Bühnenelemente des Franzosen. In diese Rubrik fallen unbedingt auch die drolligen „Videokulissen“ von Conny Klar. Manchmal Zeichentrick-Animationen, manchmal „atmende“ Standbilder, ersetzen sie mit feinem Humor andernfalls wahrscheinlich hilflos wirkende Bühnenbilder. Und interagieren auf geschickte Weise mit den Schauspielern, unterstützt vom präzise geführten Ton. Diese originellen Einfälle und ein sechsköpfiges in verschiedenste Rollen schlüpfendes Ensemble lassen die letzte TJG-Premiere unmittelbar vor Spielzeitende schmunzelnd und ein bisschen nachdenklich nachklingen.