Foto: Jörg Weinöhl in "Nicht ich". © Martina Pipprich
Text:Isabell Steinböck, am 3. Juli 2012
Musiker und Sänger sind im Halbkreis aufgestellt: Im Zentrum der Bühne bewegt sich ein Tänzer, der, mit dem Rücken zum Publikum, kurze, reduzierte Bewegungen ausführt. Den Körper bis zum äußersten gespannt, schnellt plötzlich ein Zeigefinger in die Höhe. Die Sänger artikulieren einzelne Vokale, schlagen Papier in Wellen, reiben Styropor gegeneinander. Aus dem Off ertönt ein Text Heinrich von Kleists: „Über das Marionettentheater“.
Kleists Essay – das Ringen um die Kunst als Ausdruck von Perfektion – bildet das philosophische Grundgerüst für dieses szenische Konzert, das die Komponistin Isabel Mundry in Zusammenarbeit mit dem Choreografen und Tänzer Jörg Weinöhl entwickelt hat. Aus Anlass des 200. Todestages Heinrich von Kleists ist das Stück für Sopran (Petra Hoffmann), Tänzer (Jörg Weinöhl), Stimmen („Vokalensemble Zürich“) und Orchester („ensemble recherche“) 2011 in der Schweiz uraufgeführt worden. An der Deutschen Oper am Rhein war diese außergewöhnliche Produktion jetzt einmalig zu sehen.
Die Bedeutung des in höchstem Maße abstrakten Stücks erschließt sich nicht leicht, und so ist diesem Tanz-Konzert mit dem Titel „Nicht ich – über das Marionettentheater von Kleist“ ein ausführliches Programmheft zur Seite gestellt. Projektion und Spiegelung sind wesentliche Momente, die das nach Virtuosität strebende Ich scheitern lassen. Sowohl Marionette, als auch Statue oder das von Instinkten geleitete Tier sind dem menschlichen Individuum bei Kleist überlegen.
Das Thema findet sich auch in einem eigens für diese Produktion verfassten Text von Peter Weber. „Nicht ich – das Auge der Möwe“ entwirft Szenen einer Schifffahrt. Wechselten sich im Bezug zum Kleist-Text Bewegung und Klangcollage miteinander ab, so scheinen sich die Künste nun zu vermischen. Sänger und Musiker schaffen eine akustische Szene, indem sie auf Flöten Windgeräusche erzeugen oder Gläser klirren lassen. Als Reisende bilden Sänger eine Diagonale im Raum, zeigen gar schauspielerische Qualitäten, wenn sie mit Blick auf den Tänzer Grimassen ziehen, ihn mit ihren Blicken abschätzen und höhnisch auslachen.
Jörg Weinöhl fügt sich in dieses experimentellen Zusammenspiel, setzt sich nie zu sehr in Szene und beeindruckt doch durch Bühnenpräsenz und klar choreografierte Bewegungen: Ein Blick genügt, den innewohnenden Wahnsinn des mit sich selbst ringenden Individuums zu vermitteln, eine Haltung, um in den Ausdruck der seelenlosen Puppe zu wechseln. Eingeklemmt in das Korsett seiner Unzulänglichkeit, wirkt der Tänzer bis zum Schluss tatsächlich wie eine Marionette, seltsam seelenlos und unfrei. Eine raffiniert komponierte, präzise ausgeführte, anspruchsvolle Produktion, die viel Raum lässt zur eigenen Interpretation.