Foto: Das Cullberg Ballett in "JJ's Voices". © Carl Thorborg
Text:Isabell Steinböck, am 27. Juni 2012
Das Ensemble agiert wie eine anonyme Gesellschaft: Die Kapuzen ihrer Shirts tief ins Gesicht gezogen, liegen Tänzer auf dem Bühnenboden oder stapeln mechanisch Kisten aufeinander. Ihre Bewegungen sind langsam, ganz leise dudelt irgendwo ein Radio, da kommt plötzlich Dynamik auf. Zur unnachahmlichen Musik von Janis Joplin („Down on me“) rennen drei Tänzerinnen Hand in Hand über die Bühne. Ein ausgelassener, unbändiger Tanz entwickelt sich aus weichen, kraftvollen Bewegungen, großartig in seiner Leichtigkeit und damit einer der Höhepunkte des Abends.
„JJ´s voices“ ist eine Produktion des renommierten Cullberg Balletts. 2009 kreierte der kanadische Choreograf Benoît Lachambre das von Sängerin Janis Joplin inspirierte Stück für die schwedische Kompanie; jetzt kam die einstündige Produktion im Essener „PACT Zollverein“ zur Deutschlandpremiere. Laut Programm geht es dem Choreografen darum, den Menschen unserer heutigen Gesellschaft zu portraitieren, im Spannungsfeld zwischen „maximaler Anonymität und dem verzweifelten Wunsch nach Selbstverwirklichung“. Tatsächlich gelingt es ihm mit acht Tänzern, das Lebensgefühl der Hippie-Bewegung – insbesondere den Drang nach Freiheit – zu vermitteln und ins 21. Jahrhundert zu transportieren. Die Tänzer hängen Begriffe, wie „listen inside“, „collapse tongue“ oder „multiple emotions“ als Handlungsanweisungen auf Magnetträger und setzen sie unmissverständlich um. Mit eckigen Bewegungen schieben sich über den Boden, als seien sie einem Computerspiel entsprungen oder imitieren die Sängerin, bis einer von ihnen, zitternd wie auf Drogenentzug, zu Boden geht.
Benoît Lachambres Konzept, Stille und Langsamkeit mit rauen, lauten Songs und mitreißender Dynamik zu kontrastieren, zieht sich bis zum Schluss durch die Produktion und macht das Thema des in sich verschlossenen, allmählich selbst befreienden Individuums um so plastischer. Die weiten Kapuzenshirts sind dabei mehr als nur Kostüm, dienen sie doch als eine Art Schutzschild, das den Einzelnen gesichtslos macht, mitunter auch Teile des Körpers verschwinden lässt. Dagegen wirkt das Individuum beinahe nackt, wenn es sich mit festem Blick vor dem Publikum aufbaut und sich endlich als Persönlichkeit zeigt. Ins Groteske steigert sich der Freiheitsdrang, wenn ein Tänzer seine Jacke in die Luft schleudert und anschließend vergebens versucht, den Flug der geworfenen Kleidung zu imitieren. Alles in allem beklemmende, mitunter komisch anmutende, originelle Szenen, die von der Ausdruckskraft und Virtuosität dieses großartigen Ensembles leben.