Foto: Annette Paulmann als einsame Frau Rasch in "Wunschkonzert", inszeniert von David Heiligers. © Conny Mirbach
Text:Anne Fritsch, am 26. Juni 2012
Es ist ein alter Text. Ein alter und leiser, nein: ein stummer Text. In seinem „Wunschkonzert“ erzählt Franz Xaver Kroetz einen Abend im Leben des Fräulein Rasch. Es ist ein Abend wie jeder andere in ihrem Leben, ein einsamer Abend. Und deswegen schluckt Fräulein Rasch am Ende dieses Abends, der wie jeder ist, aber irgendwie derer einer zu viel, Schlaftabletten. Fräulein Rasch spricht kein einziges Wort an diesem Abend, sie tut nur alles, was sie immer tut, 75 Minuten lang, zwischen Nach-Hause-Kommen und Zu-Bett-Gehen. Die Zuschauer erleben ihr Leben in „Echtzeit“, wie man heute sagen würde. 1973, als das „Wunschkonzert“ uraufgeführt wurde, kannte man diesen Begriff noch nicht.
Jetzt hat sich der Regieassistent David Heiligers im Werkraum der Kammerspiele dieses Stück vorgenommen, das man nicht unbedingt auf der Wunschliste eines Ende-Zwanzig-Jährigen vermuten würde. Den Text, der eine einzige Regieanweisung ist, hört man zu Beginn vom Band, gesprochen von Michael Tregor. Heiligers distanziert sich vom Kroetzschen Naturalismus, nimmt ihn als Vor-Lage, als Sprungbrett für seine eigene Interpretation. Der Überraschungsmoment am Ende interessiert Heiligers nicht, ihm geht es um die Frage nach dem Warum.
Leicht wäre es, sich über diese Frau zu stellen, ihren Ordnungs- und Sauberkeitszwang aus- und sie selbst in ihrer lächerlichen Zwanghaftigkeit bloßzustellen. So leicht machen es sich Heiligers und seine wunderbare Schauspielerin Annette Paulmann nicht. Dieser gelingt es vielmehr, ihrer Figur in all ihren Handlungen Würde zu verleihen. Es ist nicht kleinlich, dass sie einen für alle anderen unsichtbaren Fleck von ihrem Jackett entfernt. Es ist nicht lächerlich, dass sie für sich alleine den Tisch deckt, als erwarte sie Besuch – mit Tischdecke, Stoffset und -serviette. Es ist tieftraurig. Wir sehen hier einen Menschen mit Träumen, die sich nicht erfüllen wollen. Einen Menschen, der nicht aufgeben will, sondern tapfer immer weitermacht. Diese Frau Rasch, sie hält ihre kleine Welt in Ordnung, sucht nach einem Sinn. Heiligers erzählt, wie es ist, in einer Spaßgesellschaft keinen Spaß zu haben, ausgeschlossen zu sein – warum auch immer – von scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Vom Glück. Auch wenn es noch so klein ist.
Wenn die Schinkenpackung sich partout nicht öffnen lässt, wenn trotz bester Planung etwas einfach nicht funktioniert und die Routine ins Stocken gerät, dann scheint eine große Traurigkeit auf. Annette Paulmann sitzt da, die Hände auf den Knien, erbebt und schaut ins Leere. Es ist dies ein Moment von Therese-Giehsescher Größe. Dann rafft sie sich auf, macht weiter. Und doch sind sie immer wieder da: diese Momente des Sich-Zusammenreißen-Müssens. Immer wieder steht die stumme Frage nach dem Wozu im Raum, die nach und nach alles übertönt.
Es ist ein alter Text. David Heiligers und Annette Paulmann aber zeigen, dass die Geschichte, die er erzählt, nicht alt ist. Nicht alt sein wird, so lange Menschen alleine sind.