Foto: Ensembleszene aus Mario Holetzecks Insenierung nach Erwin Strittmatters Lausitz-Roman "Der Laden". © Marlies Kross
Text:Michael Laages, am 12. Juni 2012
Hohes Tempo legt das Theater vor, um Schritt zu halten mit dem Roman; Holger Teschke, Mario Holetzeck und die Produktionsdramaturgin Bettina Jantzen haben im Wechsel aus Szene und Erzählung eine dichte Struktur über Erwin Strittmatters Erinnerung gelegt. Immer wieder fischt der Punktscheinwerfer die zentrale Figur, des Autors „alter ego“ Esau Matt, aus der jeweiligen Szene heraus, um ihn erzählen zu lassen, was nicht gespielt werden kann (oder muss). Und stets zu Anfang der beiden Teile dieses ersten Abends im und mit dem „Laden“ landet der Protagonist Oliver Breite liegend und träumend im Zentrum der Bühne. Hier vor allem plagen ihn die allgegenwärtigen Selbstzweifel, hier stellt er die ewige Frage nach dem Ich. Im Nachdenken über Dichtung und Wahrheit stellen sich jedoch auch Alpträume ein von eigener Schuld – Strittmatters Verschweigen der eigenen SS-Mitgliedschaft ist in diese Szene gebannt.
Aber so weit sind wir eigentlich noch gar nicht. Held Matt ist gerade 17, als der erste „Laden“-Abend endet; 1929 hat der junge Mann die erste Enttäuschung in der Liebe erlebt und die höhere Schule geschmissen. Dort beginnt sich zwar schon der Nazi-Wahn breitzumachen. Aber diese erste Theater-Begegnung mit Strittmatters Roman gehört noch ganz den falschen Idyllen von Kindheit und Jugend. Mario Holetzecks Inszenierung entwickelt die Geschichten so gedanklich wie praktisch aus Gundula Martins weiß ausgehängter Bühne, aus deren Kulissen sich Treppen, Gänge und der ganze Laden herausklappen lassen; geht Vater Matt in die Backstube, klettert er in die Unterbühne. Und manchmal ist ganz Bossdom in der Tiefe der Bühne Chor im Wechselgesang mit Matts Gedanken.
Vater und Mutter, Oma und Opa, das (von Vater und Sohn) begehrte Kindermädchen, der verwirrt aus dem Krieg zurückkehrende Onkel und die ganze Dorf-, später Schulgesellschaft mühen sich redlich (und oft sehr erfolgreich) um den Ton der Region am Rande der Welt; mit Geduld und Spucke (dem „Lausitzer Leim“) werden die Innovationen von Post und Telefon, Fahr- und Motorrad bewältigt.
Ziemlich kleinteilig hat Holetzeck Effekte und Pointen sortiert, echtes Pferd inklusive, und die Aufführung wagt sich durchaus auch vor an die Grenzen zum reinen Amüsiertheater – aber letztlich wird ja immer auch das Jahrhundert besichtigt; und das ist nicht nur ein Spaß. Oft markiert übrigens gerade die Musik von Hans Petith, Stile der Zeiten zitierend, den historischen Rahmen, der der Inszenierung so nie abhandenkommt.
„Der Laden“ ist ein ziemlich großer Wurf in und für Cottbus, Teil 2 folgt zu Beginn der kommenden Spielzeit. Neben einigen anderen sehr eindrucksvollen Profilen im Ensemble erfindet hier aber vor allem Oliver Breite ein Leben. Er war ja schon ein großer Menschenbildner, als er noch Oliver Bäßler hieß und vor bald zwanzig Jahren mit Christoph Schroth nach Cottbus kam. Jetzt hat er zehn Wanderjahre hinter sich und kehrt auf Dauer zurück. Gut für Cottbus.