Foto: "ZEIT.PUNKT.", Ballett von Silvana Schröder. © Stephan Walzl
Text:Ute Grundmann, am 4. Juni 2012
Der Todesengel ist immer schon da. Gleich, ob die Frau wie schutzsuchend in der Menge untertaucht oder sich allein nach dem Takt der Musik und der Zeit bewegt – er beobachtet, begleitet sie. Wie sich dieses Verhältnis zwischen dem dunklen Dämon und der Frau in Weiß verändert, ist eines der Themen in Silvana Schröders neuer Choreografie mit dem ThüringenBallett. Zu Musik von Leonard Bernstein, Wojciech Kilar und Arvo Pärt lässt sie ihre Tänzer nachdenken über die Zeit, die vergeht, die Zeit, die man hat und den „Zeit.Punkt.“, so der Titel, wo keine Zeit mehr bleibt.
Mit Klängen aus Leonard Bernsteins „On The Town“ und „On The Waterfront“ beginnt der dreiteilige Abend sehr beschwingt, optimistisch, aber auch getrieben. Denn eine (Video-)Uhr mit vor- und rückwärts kreiselnden Zeigern gibt scheinbar den Takt vor, nach dem die Tänzer über die dunkle Bühne robben, laufen, springen. Männer wie Frauen tragen schwarze Anzüge mit weißem Hemd, nur die Frau (Sabine Völkl) tanzt in einem weißen Kleid elegant und raumgreifend. Doch schon hier dreht sie sich einmal nur knapp unter der Hand des Todesengels (Odsuren Dagva) weg, entkommt dem unwillkommenen Begleiter. Aus diesem dunkel-hellen Paar, aus dessen Abstoßung und ganz langsamer Annäherung bezieht „Zeit.Punkt.“ einen Teil seiner Spannung und Faszination, aus dem steten Wechsel von den Vielen und der/dem Einzelnen einen anderen. Die vielen sind die Menschen, die von der Zeit vor sich her getrieben werden, mit Trippeln, Schreiten und Drehungen ihr Leben vertanzen. Aber sie scharen sich auch schützend um die Frau, befreien und trösten sie, wenn der dunkle Engel ihr zu nahegekommen ist.
Im zweiten Teil, zur melancholischen Musik von Wojciech Kilar (aus dem Film „Bram Stoker’s Dracula“), verstärkt sich dann der Fokus auf das Schwarz-weiße-Paar, er beobachtet sie, wie sie auf der sich emporschiebenden Drehbühne in klassisch-eleganten Bewegungen tanzt, dann schreitet er gegen die Drehrichtung um diese Bühne herum. Die Blicke, die Begegnungen zwischen beiden werden länger, es wird unklarer, ob der Engel sie verfolgt oder umwirbt.
Mit Arvo Pärts Sinfonie Nr. 3 folgt im dritten Teil dann die Entschleunigung. Es beginnt mit einer scheinbar ins Unendliche reichenden Tänzerreihe, durch die die Frau sich hindurchtanzt, ihr pas de deux mit dem Todesengel von einem zweiten Paar gespiegelt wird. Später tanzt er über ihrem liegenden Körper, doch noch hat er nicht gewonnen, entkommt sie noch einmal. Der Weg zum endgültigen „Zeit.Punkt.“ ist dann ein langer, zu langer Tanz von Engel und Frau auf eine hellleuchtende Öffnung, immer wieder unterbrochen, zurück- und wieder vorwärtsgehend. Dazu tupfen Cello und Klavier ganz sachte Töne, fallen weiße Federchen. Das schrammt hart am Kitsch entlang nach einer ansonsten überzeugenden Zeit-Reise.