Foto: Maya Boog in Stefan Puchers "Ariodante"-Inszenierung am Theater Basel. © Tanja Dorendorf, T+T Fotografie
Text:Georg Rudiger, am 14. Mai 2012
Alle Figuren in Händels 1734 geschriebener Oper „Ariodante“ haben seelische Wunden. Der suizidale Titelheld zweifelt an der Liebe seiner Braut Ginevra, Ginevra selbst wird von ihrem Bräutigam verlassen und von der Gesellschaft ausgestoßen. Unter unerfüllter Liebe leiden auch Ginevras Hofdame Dalinda, Ariodantes Bruder Lurcanio und der Intrigant Polinesso. Die Verletzungen erscheinen wie die Risse auf der Patina der Ölgemälde, die der Videokünstler Chris Kondek in der Inszenierung von Stefan Pucher auf die Bühne projiziert. Filmsequenzen von den Protagonisten mischen sich immer wieder an diesem Abend mit den historischen Bildern.
In seiner ersten Operninszenierung setzt der renommierte Schauspielregisseur ein ästhetisches Bildertheater in Gang, das verstärkt und gelegentlich auch fokussiert, häufig aber auch bewusst verrätselt und insgesamt zu selbstverliebt wirkt. Die komplexe Drehbühne von Barbara Ehnes setzt diese Rätselhaftigkeit fort. Karomuster, die sich auch in den Kostümen von Annabelle Witt finden, weisen auf den schottischen Königshof. Eine große Rosette erscheint in ganz unterschiedlichem Licht, die Insekten aus van Schriecks Gemälde „Blaue Winde, Kröte und Insekten“ (1660) dienen im ersten Akt als Sitzbank. In diesen surrealistisch-abstrakten Räumen wirken die seelisch Verwundeten ein wenig verloren. Dramatische Funken werden aus der Konstellation zu selten geschlagen.
Man muss schon auf die Musik hören, um die Seelenlandschaften etwas deutlicher zu erkennen. Dirigent Andrea Marcon lässt das großartig spielende _La Cetra Barockorchester Basel_ die feinsten Nuancen nachzeichnen. Der erste Akt ist noch ganz in der lichten Stimmung der jungen Liebe zwischen der Königstochter Ginevra (so präsent wie fragil: Maya Boog) und Ariodante (überragend: Franziska Gottwald). Die Streicher legen den Teppich aus, auf dem das Paar weich gebettet wird. Die atmosphärischen Störungen von Gegenspieler Polinesso (mit männlicher Dämonie: Christiane Bassek) sind noch marginal. Als Dalinda (berührend und mit brillanter Koloratur: Agata Wilewska) sich aber im zweiten Akt auf Polinessos Wunsch als Ginevra verkleidet und so den Verdacht der Untreue aufkommen lässt, schlagen die emotionalen Wellen hoch. Franziska Gottwald singt Ariodantes lange Klage „Scherza infida“ mit großer Expressivität. Andrea Marcon schärft die Extreme. Die langsamen Arien lässt er noch freier und getragener musizieren, die schnellen macht das junge Orchester zu echten Energiespendern. Luca Tittoto ist ein entscheidungsschwacher König mit Schottenrock und elegantem Bariton, Nikolay Borchev ein so beweglicher wie berührender Lurcanio.
Zum überraschenden Happy End gibt Regisseur Stefan Pucher noch einen deutlich ironischen Kommentar, indem er den die Tugend besingenden Schlusschor von jungen Vorzeigefamilien in normierter Freizeitkleidung vortragen lässt. Wenn das mal gut geht.