Foto: Opulente Optik, komische Gestalten: Szene aus Stefan Herheims "Xerxes"-Insznenierung. © Forster
Text:Joachim Lange, am 14. Mai 2012
Wenn Stefan Herheim auf dem Besetzungszettel steht und Heike Scheele (Bühne) und Gesine Völlm (Kostüme) mit von der Partie sind, dann ist das große Opernspektakel vorprogrammiert. Mit all der Magie, die sich mit Drehbühnen, Prospekten, dem beherzten Griff ins kollektive Operngedächtnis und der überschäumenden Phantasie des norwegischen Wundertüten-Zauberers mit der kindlichen Freude am überspringenden Theaterfunken so herbei zaubern lässt. Da ist es im Grunde fast egal welches Stück gerade auf dem Programm steht.
Diesmal hat es an der Komischen Oper Händels „Xerxes“ getroffen. Das ausgerechnet dieser Dreiakter einen Spitzenplatz unter den immer wieder inszenierten Händelopern hält, versteht sich mit dem Blick auf das, was sich mittlerweile noch so an theatertauglichen Schmuckstücken des Barockmeisters etabliert hat, zwar nicht mehr ganz von selbst. Ist aber auch Geschmacksache. Immerhin ist die Liebeserklärung des Perserkönigs an einen Baum, das Larghetto „Ombra mai fu“, höchst populär. Auch der besungene Brückenschlag zwischen Asien und Europa hat einigen Furor. Und dann finden sich ja, wie immer bei Händel, eine ganze Reihe von schmissigen, aber auch lyrische Arien, bei denen einem das Herz aufgeht.
Die Geschichte ist selbst in der von Herheim aufgemöbelten Fassung, die, von einigen italienischen Arien-Ausnahmen abgesehen, vorrangig in munterem Rezitativ-Deutsch mit berlinernden Einsprengseln daher kommt, eher barocke Unterhaltungsmeterware. Da wandeln zwei Brüder und zwei Schwestern auf Freiersfüßen und umeinander herum. Mit einer gehörigen Portion Intrige und Missverständnissen finden sich am Ende die Richtigen, wobei der jeweils aktuelle Stand der Liebesdinge nie so ganz klar ist. Um dieses locker gewebte Verwirrspiel auf die Opernbühne zu hieven, musste der eine Bruder wohl Xerxes heißen und damit das restliche Personal entsprechend mit adeln.
Für Herheim ist das die Vorlage, um die Theaterpuppen tanzen zu lassen und ein Theater auf dem Theater zu entfesseln. Das schnurrt dann ziemlich flott, frivol und perfekt ab. Die opulenten Kostüme (als Kontrastprogramm zur mainstream-second-hand-Bühnenmode) verweisen in die Entstehungszeit 1738. Und das barocke Drehbühnentheater mit Vorhang, Prospekten und bröckelndem Fachwerk-Backstage für die Künstler auf den Ort der Uraufführung in Händels Londoner Theaterunternehmen. Hier läuft die Geschichte, komödiengeschmiert, als eine flotte Mischung aus Künstlerintrige und dem gemeinsam geprobten Theaterstück ab. Wobei man nie genau weiß, auf welcher Ebene gerade gebalzt, geschmachtet oder intrigiert wird.
Damit liefert Herheim zwar keine neue, nicht mal eine originelle Sicht auf Händels Dauerbrenner, dafür aber eine Art Meta-Inszenierung, die alle Möglichkeiten der vom heiligen Ernst der Andacht befreiten Regie vorführt, mit der man Da Capo Arien bewältigt, ohne dass jemand entschlummert. Und mit der man demonstriert, dass die Barockmusik in ihren furiosen Momenten tatsächlich unmittelbar in die Glieder zu fahren vermag und der Kalauer, dass Barock rockt, eben mehr als ein Fünkchen Wahrheit beinhaltet. Das ist unterhaltend und resümiert einen großen Teil dessen, was seit Peter Konwitschnys szenischer Händelentstaubung in den achtziger Jahren in Halle so passiert ist.
Musikalisch ist das leicht nachgerüstete Orchester der Komischen Oper unter Leitung seines treuen Spezialgastes fürs Vorklassische, Konrad Junghänel, in wohltuender Nähe zum Standard der historisch informierten Spielweise und mit offenkundiger Freude bei der Sache. Im darstellerisch wie stimmlich überzeugenden Ensemble ist Stella Doufexis der Xerxes, Brigitte Geller die begehrte Romilda und Julia Geibel deren herrlich intrigante Schwester Atalanta, macht Hagen Matzeit mit seinen beiden Stimmlangen aus dem Elviro eine berlinernde Ulknudel. Der geschmeidige Mezzoklang von Katarina Bradics Amastris würde zudem jedes Händel-Festival adeln.