Foto: "Die Jüdin von Toledo" an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven. © Volker Beinhorn
Text:Jens Fischer, am 7. Mai 2012
„Kackenlangweilig“ findet er das Taktieren und Räsonieren, möchte lieber Ritter spielen, losschlagen, prügeln, sich beweisen. König Alfonso ist kein von Burgfrolleins umschwärmter Mittelalter-Krieger der humanistisch edlen Gestalt, eher ein von Teenies zu beschwärmender, cool sein wollender Jugendlicher: ein rasend Wahrheit suchender Hamlet, ein in Langeweile erstickender Leonce, Kaugummi kauend, hip-hop-lustig mit Glitzerkettchen geschmückt. „Du bist zu reich, du Spast“ bepöbelt er den „beschnittenen Freund“ Jehuda Ibn Esra, Finanzier seiner Macht, ach was, „einfach Judensau“ nennt er ihn. Ganz klar: Die Landesbühne Nord ist nicht an der dramatisch ausgefeilten Konfliktkonstruktion und psychologischen Feinzeichnung eines Historiendramas interessiert, das frei nach Leon Feuchtwangers Roman „Die Jüdin von Toledo“ ein Mit- und Gegeneinander von Christen, Juden und Moslems auf der iberischen Halbinsel als Spiegel nutzt, um etwas über Antisemitismus zu erzählen. Parallelen der Reconquista (dem anstehenden Kriegszug gegen die Mauren, ergo: den Islam) zum so genannten Kampf der Kulturen bleiben unerwähnt. All der erzählerisch üppig ausgebreitete Geschichtsunterricht: schlicht egal. Nur Anlass für Motto-Party-Kostüme.
Staatstragödie, Glaubensdrama und Amor fou von Femme fatale und Machtmensch – werden hinweggefegt fürs Frühlings Erwachen. Sex, klar, hatte König Alfonso schon, Kinder wurden ihm von der Königin Leonor geboren. Aber jetzt lernt er Jehudas Tochter Rechja kennen, die mit anmutiger Schönheit, Bildung und Kleist’schen Ohnmachten beeindruckt. Erstmals kostet der König die Droge Liebe, lässt trunken von der weiblichen Sinnlichkeit die 68er-Losung wieder aufleben: Make love not war. Solange Alfonso im Lustschloss seiner Affäre frönen und Bastarde zeugen darf, herrscht Frieden, liegt er allein im Lotterbett, gibt’s Krieg und Judenpogrome. Politik und Privates in entwirrendem Miteinander präsentiert Kristo Šagor in seiner Dramatisierung.
Die Uraufführung übersetzt Alexander Schilling in vitalitätssprühendes Jugendtheater auch für Erwachsene. Instabile Figuren wechseln in einem Satz mehrmals die Haltung, suchen spielerisch nach passender Identität, als Schutz, Rüstung. Ständig alles überspitzen, um zu sehen wie weit man kommt. Stets ironisch brechen, um sich erst mal nicht festlegen zu müssen, weiterspielen zu können. Dieses pubertäre Bewusstsein findet in der Aufführung seine ästhetische Manifestation. Sie feiert zwischen Toll- und Klarheit ihre stilistischen Brüche. Schilling entdeckt dabei eine zweite Bedeutungsebene: Suche nach räumlicher wie auch innerer Heimat – und das Gefühl der Bedrohung durch der/die/das Fremde vor der eigenen Haustür und dahinter. Alfonso begegnet draußen Juden, drinnen seinem bisher unbekanntem Begehren: hervorgezaubert durch die Jüdin Rechja. Fremdes mit der Fremden feiern. Dann: Beziehungskrise. Der König kann seine Leidenschaft nicht ersticken. Angst und Scham erzeugen Selbstbehauptungszwänge, denen Religion die Munition zu aggressiver Abgrenzung liefert. Alfonso zieht in den heiligen Krieg gegen die Mauren, unterlässt den Schutz der Juden: In Ritterrüstung spielt er ein Schlagzeugsolo, Hörspiel des Abschlachtens, während sich der Hofstaat mit Blut bespritzt und ekstatisch abtanzt. Krieg ist einfach die geilste Party. Alle sterben. Nur Alfonso überlebt – innerlich tot. Alles kackenlangweilig jetzt. Die beweisführende Aufführung ist genau das Gegenteil. Welches Wort auch immer dafür gerade jugendjargonmäßig aktuell ist…