Foto: Wenig im Griff auf dem sinkenden Schiff: Der Kapitän Manuel Kressin und versinkende Menschen in "Titanic" an den Bühnen der Stadt Gera. © Stephan Walzl
Text:Detlev Baur, am 3. Mai 2012
Es scheint noch einmal gut zu gehen für das Theater in Altenburg und Gera. Die Politik hat ein wenig mehr Geld zugesagt, so dass die fünf Sparten bestehen bleiben können, wenn die Mitarbeiter weiterhin über einen Haustarifvertag auf Geld verzichten und frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden. Ob das aber ausreicht, um weiterhin an beiden Orten anspruchsvolles Theater zu machen oder so nur ein langsamer Sterbensprozess der Theater in Altenburg und Gera noch einmal verlängert wird, ist allerdings die Frage. Wie viel einfacher war das doch vor genau hundert Jahren auf der Titanic. Die war nach dem Rammen des Eisbergs nicht mehr zu retten. Aber auch da dauerte es sehr lange – wie wir spätestens seit dem extralangen Hollywood-Streifen wissen –, bis Verantwortliche und Opfer das unmittelbar bevorstehende Ende nicht mehr ignorierten. Klare, für manche auch tödliche Entscheidungen zu treffen, zögerten die Verantwortlichen lange hinaus. Die scheidende Schauspielchefin Amina Gusner und Dramaturg Lennart Naujoks haben nun – nicht ohne Sinn für Selbstironie – „Titanic“ zu Papier und in Gera auf die Bühne gebracht.
Die zweite Vorstellung der Inszenierung, am Abend des kreativen Theater-Protestages am 1. Mai, war im frisch renovierten Geraer Plüschtheater nicht sonderlich gut besucht. Der Text versammelt 12 Reisende, darunter auch Kapitän, zwei Stewards, zwei Musiker und den Präsidenten der Reederei zu einer Revue des Sterbens. In rückblickenden Berichten und kurzen Dialogen entfalten die Figuren ihre Biographie, ihre Pläne und den Umgang mit der Katastrophe. Die Vorlage ist ein in sich runder Reigen über menschliche Hybris, das Verdrängen des oft nahen Todes und über die Schuld der Überlebenden samt Äußerungen der Verstorbenen. Es beginnt mit dem Ablegen des Schiffes und den Abschiedsgrüßen der Reisenden. Am Ende räsonieren die Ertrunkenen über das Ende. Ida, die Frau des Ingenieurs Lukow bleibt im Tod freundlich kratzbürstig; die Alkoholikerin wünscht sich im Rückblick auf Erden mehr getrunken zu haben. Schon zuvor waren ihre Kommentare auf schwankendem Grund nicht ganz geistlos. Letztlich kann der Text jedoch nur an der Oberfläche der Charaktere kratzen, weil es ja ums große Ganze: das Ende des unsinkbaren Wunderwerks der Technik und die Verdrängung eines Endes mit Ansage geht.
Vielleicht hätte es der Inszenierung auch ganz gut getan, wenn Autorin und Regisseurin nicht dieselbe gewesen wären und der Text in der Inszenierung so etwas aufgeraut worden wären. So verläuft das Ende der Titanc in Gera in recht geordneten Bahnen und gerät selten aufwühlend. Auf der Bühne von Jan Steigert dreht sich immer wieder eine schräge Plattform, die den Bug des Schiffes – oder später das sinkende Gefährt andeutet. Gespielt wird, oft von Musik an Flügel und E-Gitarre (Olav Kröger, Raphael Beil) begleitet, zwischen eingefrorenen Bildern, schwankenden Gestalten und Tanz, zuweilen in Polonaisen. In Amina Gusners Inszenierung entsteht dabei eine Revue des Todes, der es etwas an Biss fehlt. Zwar ist die Langsamkeit des Anfangs vom Ende ein Hauptmotiv des Stückes, doch bleibt die Katastrophe angesichts der nur angedeuteten Figuren etwas oberflächlich. Die meisten Akteure versuchen die mangelnde Dramatik durch laute Töne wettzumachen; dabei sind es die Zwischentöne, wie sie etwa Frank Voigtmann als launiger Spieler Benjamin Guggenheim zeigt, die dem Untergang mehr Tiefe verleihen. Auch das ironische Spiel der Toten am Ende der anderthalb Stunden ist weit ansprechender als die Abrechnung der Überlebenden, weil die Akteure hier leichter aufspielen, ohne die Schwere ihrer Rolle so zu betonen, wie es noch beim Abrutschen von der Schiffsschräge auf den todverheißenden Bühnenboden geschah.