Foto: Sandro Tajouri in "Faserland" am Jungen Schauspiel Hannover. © Katrin Ribbe
Text:Michael Laages, am 16. April 2012
Die Reise durch „Faserland“ ist fast schon zu Ende, da zeigt Robert Lehnigers Dramatisierung dieses 1995 erschienenen und ziemlich umstrittenen Romans von Christian Kracht einen wirklich schönen, sehr klug reflektierten Moment. Der „Kleine Schulchor“ der hannoverschen Tellkampfschule, der von Beginn an immer mal wieder Krachts krude Reise-Abenteuer zwischen Sylt und Zürich gekontert hatte mit trüben, düstren Pop-Phantasien von „Tocotronic“ oder „Blumfeld“, erscheint diesmal nicht im Untergrund, also zwischen den Stützstreben von Irene Ips hoch gebauter Spielfläche, sondern auf der Bühne selbst; und das Ensemble der fünf Ego-Darsteller des reisenden Ich erstarrt. Wie historisch-museale Statuen betrachteten nun die Kinder von heute das Selbsterfahrungspersonal der 90er Jahre, als die DDR gerade weg und die D-Mark noch da war – und derart demonstrative Distanz hätte Lehnigers Blick auf Krachts „Faserland“ sicher auch sonst ganz gut getan.
Der Roman – das immerhin wird auch jetzt im Theater klar – nervt noch immer ziemlich: mit all den halbgar hingerotzten Hass-Attacken auf alle und jeden, vor allem aber auf die Generationen von Eltern und Großeltern. Alles ist irgendwie immer noch Nazi, was Kracht vor die Beobachter-Augen kommt; mit tiefster Verachtung straft das Erzähler-Ich darüber hinaus alles, was sich nicht genau so jung, so hip, so modebewusst und so unreif-durchgeknallt benimmt wie der Reisende selbst. Nicht umsonst ist dieses Ekelpaket, ist dieser Kotzbrocken abendfüllend damit beschäftigt, sich nach vielfältigen Drogenräuschen fleißig zu übergeben – der ganze Text ist ja wie hervorgewürgt. Lehniger macht muntre Wasserspiele daraus – das Ensemble verwandelt sich in wandelnde Wasserspeier und setzt auf diese Weise die Bühne selber unter Mineralwasser (ohne Kohlensäure!). Schlussendlich gehen sie alle baden im kleinen Bühnen-Becken.
Jeder der fünf Reisenden (Lisa Natalie Arnold und Sandro Tahjouri, Martin Vischer, Dominik Maringer und Oscar Olivo) hat zuvor von einer der „Faserland“-Stationen erzählt – vom Sylter Liebesgetändel auf den Höhen der High Society wie von der Drogen-Orgie in Hamburg, vom misslungenen Freundschafts-Treff in Frankfurt wie vom erotischen Verbindungs-Exzess in Heidelberg, vom Tod am Bodensee, wo ein Kind reicher Eltern (und Freund des Erzählers) nach einer Party leblos im See treibt, wie von des Autors Besuch an Thomas Manns Grab in Zürich mit anschließender Ruderpartie auf dem See. Die Bühnenhandlung mischt sich dabei stetig mit Bert Zanders Videos, in denen das Ensemble tatsächlich alle Orte besucht – das muss eine Produktion mit hohen Reisekosten gewesen sein.
Nur wozu? Krachts Roman schärft heute bestenfalls den Blick auf eine Junge-Leute-Generation, deren demonstratives Desinteresse an fast allem sie selten wirklich produktiv werden ließ. Er ist spürbar von gestern – und deshalb ist auch dieses eine, kurze Museumsbild so schön. Jenseits dieser Distanz kann ihm auch Inszenierung kaum Tiefe geben – und warum Lehnigers Wasser-marsch-Arbeit im „Jungen Schauspiel“ und nicht im hannoverschen Hauptspielplan herausgekommen ist, bleibt für immer rätselhaft.