Foto: Ulrich Schlumberger, Margarita Wiesner, Nils Thorben Bartling und Renate Winkler in "An die Arbeit!" an der Württembergischen Landesbühne Esslingen © Frank Pieth
Text:Elisabeth Maier, am 2. April 2012
Zur Nabelschau tendieren Eva Christina Zellers bildbewohnte Lyrik und Prosa. Die eingeengte lokale Perspektive der 1960 geborenen Tübinger Autorin, die beim idyllischen Stiftsgarten lebt, verstellt den Blick auf ihre tiefgründige Philosophie, die eigentlich ganz andere Räume aufschließt. In der Bühnenfassung des Prosatexts „An die Arbeit!“ löst Katrin Enders, Chefdramaturgin an der Württembergischen Landesbühne in Esslingen, dieses Dilemma der Autorin auf. Gemeinsam mit Zeller hat sie eine Bühnenfassung entwickelt, die den Blick auf ungewöhnliche Menschen an der Schwelle zum Tod lenkt. Enders’ gelungene Uraufführung fördert die Theatralität von Zellers Text zu Tage.
2009 ist die Autorin für den Monolog „An die Arbeit“ mit dem Preis der Bundesakademie Wolfenbüttel ausgezeichnet worden. „Ich habe keine Arbeit, ich suche nach ihr, im Traum laufe ich ihr hinterher wie der Hund nach der Wurst schnüffelt, die schon längst gegessen ist…“ Allzu flüchtig skizziert Zeller unter-schiedliche Arbeitsbiografien, die in den Tod münden. Enders’ poetisch starke Regiearbeit auf der Podiumsbühne füllt leere Konturen. Ein gespenstisch schön geschminkter Conférencier lädt die Zuschauer ein zum Public Viewing in der Leichenhalle. Auch die Akteure bittet Nils Thorben Bartling, dessen zauberhafte Eloquenz berührt, zum Totentanz.
Enders entlockt dem Esslinger Ensemble, das sich neugierig auf Zellers vielschichtige Sprachschattierungen einlässt, Charakterporträts. Ralph Hönicke als atemloser Workaholic rennt dem Schein einer Karriere hinterher. Klug zeigt der Schauspieler, wie ein Mensch im Takt der Termine zerfällt. Lothar Bobbes Mu-seumswärter schafft sich seine eigene Wirklichkeit in Bildern verblichener Epochen. Draußen wartet auf den Mann mit der Thermoskanne und dem Pausenbrot das Nichts.
Ein schriller Tinnitus-Ton und Tangoklänge auf dem Akkordeon, von Ulrich Schlumberger lustvoll interpretiert, spiegeln Lust und Angst. Blitzschnell wechseln die Gefühlsebenen. Mit Chrysanthemen- und Lilienkränzen hat Nana Hülsewig einen Bühnenraum geschaffen, der Krankenhausflur und Leichenhalle zugleich ist. Da liegt Renate Winkler als Mutter in einem Stoffsarg, der ihren ganzen Körper umhüllt. Mit zitternder Stimme stammelt sich die Frau, die ein Zug überrollt hat, ins Leben zurück. Doch das, was einmal ihre Identität war, zerfällt im Erinnerungskitsch. Margarita Wiesner als betörendes Sterntalerkind schließt ihr die müden Augen. Dass Eva Christina Zellers komplexe Texte durchaus eine politische Dimension haben, zeigt Beatrice Boca als türkisches Gretchen. Die Beichte ihrer jungen Frau, die am Leben zwischen den Kulturen scheitert, ist stark. Mit feinem Gespür meistert die Schauspielerin den Balanceakt zwischen persönlicher Betroffenheit und Zeitgeist.