Foto: Der Staatsopernchor, Michael Eder (Teufel), Ladislav Elgr (Babinský) und Christoph Pohl (Švanda). © Matthias Creutziger
Text:Wolfgang Behrens, am 27. März 2012
In der Pop- und Schlagermusik kennt man das Phänomen des One-Hit-Wonders: Ein Sänger oder eine Gruppe hat einen ungemein erfolgreichen Titel – aber eben nur einen. In anderen Musiksparten sind One-Hit-Wonder seltener anzutreffen, doch natürlich gibt es sie auch dort: „Schwanda, der Dudelsackpfeiefer“ etwa, das ist so ein einer, der einst von allen Dächern pfiff, dem freilich sein Komponist, der Tscheche Jaromír Weinberger, kein zweites Wunder folgen ließ. 1927 in Prag uraufgeführt, eroberte „Schwanda“ – protegiert vom Kafka-Mentor Max Brod – in seiner deutschen Fassung Ende der 1920er Jahren in Windeseile die internationalen Bühnen, um in den Folgejahrzehnten schleichend wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Lässt man heute gesprächsweise den Titel „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ fallen, blickt man umgehend in belustigte Gesichter: Zu kurios klingt das, und versucht man gar, die Handlung nachzuerzählen, winken die Gegenüber endgültig ab: Das ist doch altes Zeugs! Was soll uns heute noch ein Dudelsackpfeifer, der sein treuliebendes Weib auf Rat eines Räubers verlässt, um einer Eiskönigin aufzuspielen und ihr Herz schmelzen zu lassen? Und der dann gar vom Teufel geholt wird, weil er seiner Frau beim erneuerten Treueschwur dreist ins Gesicht lügt, die Königin nicht geküsst zu haben? Und der schließlich – gleichsam eine männliche Eurydike – aus der Hölle zurückgeholt wird, weil der Räuber so edel ist und seinen Schützling Schwanda zuletzt einem völlig unwahrscheinlichen Happy-End zuführt?
Die Dresdner Semperoper hat nun in einer mit Ovationen begrüßten Premiere gezeigt, was uns das soll: Es beschert uns das Glück des Märchens, das früher auch einmal in der Oper zu Hause war, mittlerweile aber eher in Fantasy-Romane und Filme abgewandert ist. Hier aber, in dem abseitigen Repertoire-Stück „Schwanda“ (gegeben in der tschechischen Originalversion „Švanda dudák“), wird Oper plötzlich wieder zum Fest des Schauens, Hörens und sentimentalen Fühlens. Das beginnt bei der herrlichen Bühne Arne Walthers, die uns das Heim Dorotkas und Schwandas als ein kleines, in warmen Gelb- und Grüntönen illuminiertes Gewächshaus mit Butzenscheiben präsentiert. Ab dem zweiten Bild wächst dieses Gewächshaus über sich hinaus, es weitet sich zum riesigen, nunmehr kaltblau glitzernden Kristallpalast, ehe es sich rotglühend zur Hölle wandelt. Regisseur Axel Köhler lässt diese Räume mit verschwenderischem Charme bespielen und befleißigt sich dabei der Tugend der mangelnden Ambition: Anstatt Deutungstiefen auszuloten, bebildert er die Musik, das aber mit enormem Geschick. Punktgenau werden musikalische Gesten in die Szene integriert, Chor und Darsteller wippen mit Offenbach’schem Witz durch Eisdom und Hölle, neckische Ausstattungsdetails wie bemannte, vor Mondscheiben einher fliegende Koffer tun ein Übriges.
Wer indes den Erfolg „Schwandas“ – sei es den von ehemals oder den heutigen in Dresden – ganz verstehen will, der muss die Musik hören. Hier gehen der Folklore Abgelauschtes und üppiger Kontrapunkt, operettenhaftes Melos und orchestrales Mittelstimmenrauschen eine so süffige Verbindung ein, dass einem die Ohren übergehen können. Bei allem musikantischen Schwung bleibt die Staatskapelle unter Constantin Trinks dabei stets wohlartikuliert, und auch sängerisch ist die Produktion auf hohem Niveau: Marjorie Owens als Dorotka und Christoph Pohl als Schwanda verströmen puren Wohlklang, und Ladislav Elgr bewältigt die unangenehm hoch liegende Rolle des Räubers Babinsky mit schmelzender Leichtigkeit.
Am Ende der Oper ist das Ehepaar ergraut, aber es ist – Eisköniginnen und Teufeln zum Trotz – wieder oder noch immer zusammen in seinem kleinen Glashäuschen. Noch einmal ertönt der sentimentale Ohrwurm der Oper: „Auf unserm Hof daheim …“. Es ist Kitsch. Aber manchmal ist der Kitsch eben das größte Glück.