Foto: Tobias Schabel und Khatuna Mikaberidze in Pendereckis "Die Teufel von Loudon". © Thomas M. Jauk
Text:Frieder Reininghaus, am 25. März 2012
Krzysztof Pendereckis frühe Oper, die sich auf einen mehrfach bearbeiteten Text von Aldous Huxley stützt, rankt sich um die Lebens- und Leidensgeschichte von Urbain Grandier. Dieser Geistliche wurde 1634 Opfer kirchenpolitischer Ranküne – nach einem Prozess, der nur eine Farce war, fast zu Tode gefoltert und dann öffentlich verbrannt. Der blendend aussehende, schlanke und den Frauen zugetane Geistliche soll, so das theologisch-juristische Konstrukt, durch Ferneinwirkung die Ursulinen-Priorin Jeanne ebenso wie andere junge Frauen verhext haben.
Balász Kovaliks Inszenierung an der Staatsoper Hannover vermeidet alle Anspielungen auf die gegen den Totalitarismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts gerichtete Intentionen Huxleys. Sie folgt dem Wortlaut des vom Komponisten arrangierten Librettos. Der Bühnenbildner Florian Parbs stellte Gerüste bereit, von denen die Bürger Louduns, angezogen wie Leute von heute, nach hinten und nach vorn gaffen. Immer wieder aber zeigt ein Bildkasten vorn in der Mitte Tableaux vivants: Pontius Pilatus in den Kostümen und Bildinszenierungen der großen Wandgemälde des frühen 17. Jahrhunderts, Salome mit dem Kopf des Täufers, eine von Pfeilen durchbohrte Heilige, eine wilde Orgie am letzten Abendmahlstisch und verschiedenen Ensembles schöner Schwangerer. Die leicht ironisch gebrochene Kunstschönheit der barocken Bilder kontrastiert den ernüchternden Fortgang der brutalen Realpolitik und der an die Nieren gehenden Entrechtung, Demütigung, Folterung und physischen Vernichtung Grandiers (Kovalik lässt ihn in einer kreuzförmigen Schalung einbetonieren).
Brian Davis verleiht dem Erfolgspfarrer mit seiner geschmeidigen und doch entschiedenen Stimme ebenso bedeutendes Format wie dem standhaft Leidenden. Auch Khatuna Mikaberidze bleibt der Partie der Gegenspielerin Jeanne nichts schuldig: weder der Darstellung und dem Aussingen der unerfüllten Geilheit noch der geheuchelten Naivität, die sie an den Tag legt, als der aufgeklärte Prinz Henri öffentlich demonstriert, dass sich die von ihr vorgespielte Befreiung von den bösen Dämonen einem Placebo-Effekt verdankt.
Der Regisseur schont die Nerven der Hannoveraner nicht – die nach der Uraufführung besonders umstrittene Klistier-Szene, bei denen das Böse aus den Nonnen auf bewährte medizinische Weise expediert wird, zeigt Kovalik als zwangsweise und höchst gewaltförmig vorgenommene Vaginalspülungen. Insgesamt ruft diese Inszenierung beiläufig in Erinnerung, dass noch kein halbes Jahrhundert vergangenen ist, seit die Katholische Kirche Aufführungen der „Teufel von Loudun“ verhindern und die nicht ernsthaft zu bestreitenden Wahrheiten des Textes unterdrückt wissen wollte. Stefan Klingele sorgt dafür, dass die einst provozierend plakative Musik aufs Neue im besten Theatersinn funktioniert.