Foto: Szene aus "Im Stillen" am Grenzlandtheater Aachen. © Kerstin Brandt-Heinrichs
Text:Andreas Falentin, am 12. März 2012
Das Thema liegt – nahezu buchstäblich – auf der Straße. Immer mehr, vor allem ältere Menschen erkranken an Demenz. Clemens Mädges 2009 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführtes Zweipersonenstück schildert präzise und mit Empathie den Prozess von den ersten Anzeichen bis zum vollständigen Ausbruch der bis heute unheilbaren Krankheit. Dem gegenüber stellt er die zwischen hilfloser und verletzter Liebe, völliger Orientierungslosigkeit und Rebellion gegen die schicksalshafte Fremdbestimmung schwankende Perspektive der anderen „Opfer“ – Gruppe, der pflegenden Angehörigen.
Margarete ist Sekretärin im Ruhestand. Ihr Mann verbringt seine Zeit vor dem Fernseher, die Verbindung zu den gemeinsamen Kindern ist abgerissen. Nur mit ihrem Enkel Jonas verbindet sie seit vielen Jahren ein intensives Verhältnis. Er schenkt ihr einen Laptop, damit sie weiter „am Leben teilnehmen“ kann. Der endgültige Ausbruch der Krankheit trifft sie ausgerechnet in dem Moment, als sie sich im Internet eine Parallelidentität als 25-jährige Kellnerin aufgebaut hat. Vom Leben abgeschnitten, ist sie ausgerechnet in diese virtuelle Fluchtwelt gesperrt, was Entsetzen und Ignoranz ihres Umfelds ins Hysterische steigert. Hier ist der Text am stärksten, zeigt sezierend das Aufeinanderprallen von Orientierungslosigkeiten. Margarete verliert komplett Verstand, Bewusstsein und schließlich auch noch die Fähigkeit, Gefühle zu äußern. Jonas muss plötzlich die notwendige, aber völlig perspektivlose Aufgabe der Betreuung übernehmen und wird sich schmerzhaft der Ziellosigkeit bewusst, mit der er bisher gelebt hat – und sehnt sich nach ihr.
Manfred Schneider hat eine Miniaturküche auf die Bühne des Grenzlandtheaters gestellt, die im Lauf der 75-minütigen Vorstellung auseinanderbricht wie Margaretes Persönlichkeit und sie am Ende mit klinisch weißen Wänden umgibt. Uwe Brandt verwendet den alten Schlager „Mit 17 hat man noch Träume“ als musikalisches Leitmotiv, lässt ansonsten viel Stille, viele Pausen zu und entwickelt so die szenischen Vorgänge nachvollziehbar und berührend.
Renate Fuhrmann trifft punktgenau den, der Realität verdichtend abgelauschten, Ton der Hamburger Kleinbürgerin und stellt sich uneitel und glaubwürdig den unschönen Seiten des Älterwerdens. Im Lauf der Vorstellung wird Patrick Dollmann – nach etwas ungefährem Beginn – zum gleichwertigen, gegen Ende sogar dominanten Partner. Das etwas plakative Ende von „Im Stillen“ will gleichzeitig mahnen und Mut machen. Die Aachener Inszenierung projiziert Fotos von alten, mutmaßlich an Demenz erkrankten Menschen. Sympathisch sehen sie aus und lebenshungrig. Wie wir alle.