Foto: Es quietscht, und muss weh tun: Szene mit dem Tanzensemble in Johann Kresniks Uraufführungs-Inszenierung der „Sammlung Prinzhorn“. © Klaus Fröhlich
Text:Ulrike Lehmann, am 24. Februar 2012
Alles, was entsorgt werden soll, landet mit lautem Krachen im Graben vor der Bühne: metallisch klirrende Klinikbetten, umgestoßene Bauzäune, ganz nebenbei auch eine bunt angeschmierte Tänzerin, kopfüber nackt in einen Plastiksack gestopft – entartete Kunst, entsorgt von einem steifen NS-Mann.
Es sind solch beiläufig grausamen Bilder, die Johann Kresniks Uraufführungs-Inszenierung der „Sammlung Prinzhorn“ zu einem eindringlichen Abend machen – trotz des allzu simpel nacherzählenden Librettos von Christoph Klimke. Der hat ausgewählte Lebens- und Leidenssituationen des Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn (1886 – 1933) in sechzehn Szenen gepackt: Begegnungen mit beruflichen Weggefährten, geschiedenen Ehefrauen, ehemaligen Patienten.
Für das Heidelberger Theater ist es ein doppeltes Heimspiel: Kresnik war hier von 1979 bis 1989 Ballettdirektor, Hans Prinzhorn kam bereits 1919 als Assistent an die Psychiatrische Universitätsklinik der Stadt, wo er nach Studien der Kunstgeschichte, Philosophie, Medizin und einigen Jahren Gesangsausbildung die Aufgabe hatte, eine Sammlung mit Bildwerken von Psychiatriepatienten zu betreuen und auszuwerten. Neben der so entstandenen „Sammlung Prinzhorn“ – die seit 2001 der Öffentlichkeit zugänglich ist – erschien das Buch „Bildnerei der Geisteskranken“, in dem Prinzhorn neben diagnostischen Fragen künstlerischer Arbeiten auch die Bilder schizophrener Patienten analysierte.
Einige dieser Bilder werden im Heidelberger Opernzelt auf ein Bühnenprospekt aus geknitterter Alufolie projiziert (Bühne: Marion Eisele), ganz beiläufig quillt der harmlose Farbschwall in die übliche Drastik der Kresnik’schen Inszenierungssprache. Noch immer birst sein choreografisches Theater von Nacktheit und Krach¬¬¬¬, doch verkommt die Provokation nicht zum Selbstzweck, sondern wird zum Sinnbild pathologischer Qualen – etwa wenn eine Gruppe von Tänzern ein brutal-quietschendes Stampfballett auf Metallspikes (!) hinlegt oder wenn dutzende Patienten apathisch im Rhythmus umherschlürfen, weiße Laken hinter sich herziehend. Psychiatrie heißt, nicht aus einem vergitterten Raum zu können, weniger noch aus der eigenen, schmerzenden Haut. Das unterstreicht die dumpfnervöse Live-Musik von James Reynolds.
Rein tänzerische Szenen bleiben Einsprengsel, hier ein geschlechtervertauschter Stepptanz, dort ein marschierender Trupp. Erzähler und Handlungstreiber ist Hans Prinzhorn in persona: Der Schauspieler Andreas Seifert opfert sich vollends auf im Wortschwulst von Klimkes Text, er redet und röchelt, kleidet sich aus und an, und aus – in einem Wechselspiel von Arzt und Patient, als der er am Lebensende in einer Münchner Klinik selbst dem Hohn der Kollegen ausgeliefert ist. Typhus wird ihn niederstrecken, 1933, ehe er seine diffuse NS-Ideologie festigen kann. Und ehe Teile seiner Sammlung selbst als entartet diffamiert werden.
Besonders eindrücklich gelingen jene Episoden, in denen Prinzhorn auf ehemalige Patienten wie den suizidgefährdeten Knüpfer trifft, der seinen religiösen Größenwahn beängstigend ausspielt (Florian Mania). Oder solche, in denen Prinzhorn, selbst depressiv, sich in die Arme seiner verflossenen Frauen zurückträumt. Im Schlussbild wird er, übervatergleich, von der nackten Masse in die Höhe gestreckt, hinausgetragen. Es ist das Verdienst dieser sehenswerten Produktion, dem Innenleben des Hans Prinzhorn nahe gekommen zu sein, einem Getriebenen zwischen den Wissenschaften im vergeblichen Kampf um Anerkennung und Nähe.