Foto: "Unser Lehrer ist ein Troll" am Jungen Schauspiel Hannover. © Arzu Sandal
Text:Michael Laages, am 21. Februar 2012
Also: Wer die lieben Heranwachsenden nochmal ins Norwegerpullöverchen gezwängt hat und nun auf ein liebliches Märchen mit Troll hofft am Jungen Schauspiel in Hannover, der sollte den Kids kurz vor Beginn vielleicht noch einen Beta-Blocker einwerfen – es geht wirklich rüde, ruppig und rabiat zu in der Schul-Farce „Unser Lehrer ist ein Troll“, freigegeben ab 12 Jahren, vom derzeit quasi überall gespielten englischen Erfolgsdramatiker Dennis Kelly. Im Kino heißt so etwas wahrscheinlich „Fantasy-Splatter“ – in der ersten Minute schon wird eine Frau (die bisherige Schuldirektorin) wahnsinnig, in der zweiten wird einem Achtjährigen erst der Kopf abgerissen und dann das Kind komplett verspeist – vom neuen Schuldirektor. Denn der ist ein Troll – in den weniger gemütlichen Sagen aus dem hohen Norden ist das ja Troll-Alltag: Kinder fressen. Nun also ist das Alltag in der Schule der schrecklichen Zwillinge Holly und Sean, die zu Beginn die Frau Direktor mit Teil 2 der bewährten Sesamstraßen-Strategie (Wer-wie-was-wieso-weshalb-warum) in den Irrsinn trieben; bis sie halt im Sandkasten saß, Sand fraß und muhte wie eine Kuh.
Auffällig (und mit Sicherheit absichtsvoll) grund- und motivlos tritt „ein Troll“ die Nachfolge an. Wieso-weshalb-warum? Wollte die Schulverwaltung einen harten Hund für diese Schule, und es gab gerade keinen? Jedenfalls stellt der stellvertretende Chef der Vollversammlung einen richtigen Troll vor – der zunächst ein paar einfache disziplinarische Regeln austeilt (Schüler: niemals ungezogen sein; Lehrer: niemals ungezogen sein!) und dann, wie gesagt, den frechsten Schreier mit seiner fünf Meter langen, blauen und mit Saugnäpfen bewehrten Zunge einen Kopf kürzer macht. Und dann, wie gesagt, der Rest … nur die Tennisschlappen sind selbst für Trolle unverdaulich.
Noch ein paar Mal in 75 Minuten schlägt das Wesen dieser Art zu, auch unter Lehrern – denn das Ungezogensein hört nicht auf. Herr Troll führt abstruse Hierarchie-Regeln ein (etwa über Schlamm im Schuh) und schickt die Kinder in die Tiefen unter den früheren Spielplatz der Schule, um Gold zu schürfen. Auch das, weiß der Norwegen-Kundige, gehört zum Sagen-Profil von Trollen. Die Zwillinge hingegen finden mit vielfältigen Hilferufen (bei den Eltern, beim Schulrat, bei der Polizei, sogar beim „Prime Minister“ in 10 Downing Street) nirgends offene Ohren; überall nur Ahnungslosigkeit (über Trolle) und süßliches Salbadern (über Toleranz, auch Trollen gegenüber) … niemand wird ihnen helfen, die Folter zu beenden.
Was erzählt Kelly eigentlich? Einen Alptraum jugendlicher Hilflosigkeit angesichts unerklärlicher Macht und Gewalt? Aber der Ruhm des Fabelwesens wächst ja mit jeder trolligen Bluttat – geht’s um Kompromisslerei? Die Story hat keinen wirklichen Ausgang – und Kellys Rettungstrick ist denn auch haarsträubend schlicht: Sean lernt an einem Nachmittag mal schnell „Trollisch“ (das ist einfacher als zu befürchten!), und jetzt setzt die ganze Schule dem Direktor in dessen Sprache zu – die nämlich überwiegend aus dem Wort „Ak“ besteht. Dann kommt wieder Ernie und Berts „Wer nicht fragt, bleibt dumm“-Methode zum Einsatz – Warum frisst ein Troll Kinder? Ähhm … Warum müssen wir in Goldminen schuften? Tja …
Finale: Man argumentiert auf Augenhöhe. Nur vier Opfer waren leider zu beklagen bis dahin. Das ist kein Happy End; und auch die Mine arbeitet irgendwie weiter – Holly und Sean kriegen immerhin ein Denkmal ganz aus Grubengold. Die Inszenierung von Ricarda Beilharz sieht im Bühnenbild der Regisseurin demonstrativ unaufgeräumt aus, wie ein Kinderzimmer eben, durchsetzt mit Absurditäten (viel zu große und viel zu kleine Stühle); der im Erzähl-Ton geschrieben Text ist verteilt auf drei extrem flexible Ensemblemitglieder, die einen Marathon an Klamottenwechseln und Troll-Effekten bewältigen: Nadine Geyersbach, Christine Diensberg und Matthieu Svetchine. Dieses Trio werden die Kids sicher mögen – und die Erziehungsverpflichteten werden danach eine Menge zu erklären haben. Vor allem alles, was sie selbst nicht verstanden haben.