Foto: Großes Solo für Dagmar Manzel: Szene aus Barrie Koskys Inszenierung der „Sieben Todsünden“. © Monika Rittershaus
Text:Wolfgang Behrens, am 13. Februar 2012
Ein paar als weniger gelungen verbuchte Produktionen in den letzten Monaten genügten, um die Stimmung umschlagen zu lassen. War die Intendanz von Andreas Homoki an der Komischen Oper von der Berliner Kritik bislang eher freundlich begleitet worden, können plötzlich einige das Ende seiner letzten Saison gar nicht schnell genug herbeisehnen: Zu sehr habe sich Homoki in jüngerer Zeit auf die immer selben Namen verlassen (Calixto Bieito, Sebastian Baumgarten) und damit zuletzt nicht mehr allzu gut ausgesehen. Ironischerweise gehört zu diesen immer selben Namen jedoch auch der seines Nachfolgers Barrie Kosky, dessen neueste Premiere am Haus so wohl weniger dem Ende der Ära Homoki zugeschlagen wird, als vielmehr schon als vorgezogener Auftakt der kommenden gelten kann.
Kosky selbst, lustvoller Grenzgänger zwischen den zwei im deutschsprachigen Raum noch immer streng geschiedenen Welten Oper und Musical, scheut es dabei nicht, seinerseits auf vertraute Namen zu setzen: Seine Inszenierung von Kurt Weills und Bertolt Brechts „Die sieben Todsünden“ ist eine einzige Hommage an die singende Schauspielerin Dagmar Manzel, die hier bereits Koskys Produktion „Kiss me, Kate“ zum umjubelten Erfolg geführt hat. Die „Todsünden“ nun geraten zu einem überragenden Triumph der Manzel’schen Darstellungskunst.
Auf der bildlosen, leeren Bühne hat Dagmar Manzel nur zwei Partner: die Musik und den Spot des Scheinwerfers. Letzterer schält ihren Kopf zu Beginn aus dem Vorhang heraus, sie umgebend wie eine Halskrause; dann weitet sie den Spot zur Gloriole aus, macht ihn sich zum Raum und spielt mit ihm Haschen. Das alles passiert, während sie ein paar sehnsuchtsvolle, von Frank Schulte symbiotisch am Klavier begleitete Weill-Songs zum Besten gibt, die Kosky dem eigentlichen Stück vorangestellt hat: schönes, reduktionistisches Varieté ist das – und doch bloß die Ouvertüre zum großen Drama. Denn wenn sich der Vorhang öffnet und den Blick auf das von der künftigen Kapellmeisterin Kristiina Poska präzise und umsichtig geleitete Orchester freigibt, tritt Dagmar Manzel in den Kampf mit dem Spot ein, der nun ihren Körper zerschneidet und sie verfolgt, sie seziert, entblößt und auch dort ins Rampenlicht zerrt, wo sie lieber im Dunkeln bleiben möchte.
Manzel und Kosky erzählen mit den „Todsünden“ weniger von einer kleinbürgerlichen Gesellschaft, die sich – um sich ein Haus zu ersparen – den Zwängen des Kapitalismus und des Marktes beugt. Vielmehr zeigen sie in ganz einfachen und eindringlichen Bildern das Drama einer Frau, die von den von außen an sie herangetragenen Ansprüchen zunehmend deformiert wird und schließlich mit ihren verleugneten Bedürfnissen auch sich selbst verliert. Konvulsivisches Zucken, gehetztes Hampeln, sich verkrampfende Glieder und trübseliges Betasten der eigenen Körperhülle: gänzlich uneitel beschreitet Dagmar Manzel so den Weg in die Zwangsneurose und zuletzt ins Verschwinden. Das ist packend, und es könnte noch packender, es könnte ganz groß sein, wenn nicht die elektronische Verstärkung über Mikroport die Stimme der Manzel (und erst recht die des kommentierenden Männerquartetts) aus jeder Balance mit dem Raum geraten lassen würde. Es mag sein, dass die derart wohlfeil erkaufte akustische Präsenz einige leise und verhuschte Töne erst hörbar werden lässt, letztlich aber geht sie deutlich zu Lasten der darstellerischen Intensität. Und das ist dann doch ein hoher Preis.