Foto: Annett Sawallisch (Yvonne), erschlagen von weißen Ballons. © Dieter Wuschanski
Text:Michael Chlebusch, am 8. Februar 2012
Am Anfang ist da nur Yvonne (irritierend entrückt: Annett Sawallisch), mit einem kleinen Koffer und einem geblümten Kleid, ganz zeitlos altmodisch. Erhellt wird sie von einem Spot und Musik vom Kroaten Coco Mosquito, die nach Tom Waits klingt und damit ebenso zeitlos altmodisch wirkt. Und wie Yvonne da so steht und schaut, bricht das Absurde über sie herein: Riesige weiße Ballons stürzen herab und bedecken den Bühnenboden, auf dem in Chemnitz mit „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ in den nächsten 90 Minuten eine surreale Groteske zu sehen sein wird.
Diese Ballons sind ein System, das sich auf Yvonne niederschlägt. Hier heißt es Hof und Adel, könnte in der gezeigten Abstraktion aber auch Kapitalismus und Globalisierung sein; mit ihren einfachen, ästhetischen Bildern lassen die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik und Bühnenbildner Henrik Ahr viele Deutungen des Settings zu. Unumstößlich wird jedoch klar: Yvonne gehört hier nicht her. Eine Fremde unter Aliens, Hofdamen und -herren die mit steriler Kleidung und Gebaren in die Szenerie treten.
Darunter, „Valentin raus!“, einer in höfischem Weiß – Guido Schikore als schreiend komischer Running-Gag, der sich immer wieder ins Bild schleicht und trotz kriecherischer Anpassung nicht dabei sein darf. Nur der Prinz (Sebastian Tessenow), rebellisch und unbedacht, bricht aus diesem Rahmen und holt Yvonne in die Familie, indem er sie aus einer Laune heraus zu seiner Verlobten erklärt. Stumm und stumpf steht sie fortan da, während sich die Bewohner des Ballonreichs um ihre angenommen Befindlichkeiten drehen; zunächst mit Verwunderung, später mit Wut und Verzweiflung: „Warum ist die so?“ hört man den König (facettenreich: Bernd-Michael Baier) fragen, der mit einer aus seinem Volk konfrontiert wird und merkt, dass er sie nicht versteht. In einem unbeobachteten Moment erwacht Yvonne und tanzt, nur um kurz darauf wieder in Lethargie zu verfallen. Bis zum Schluss bleiben sie und ihre Motive verschlossen. Derweil dreht der Hof durch. Yvonne weckt dort nicht nur das beruhigende Gefühl, besser zu sein, sondern durch ihr Schweigen bald auch Ängste und Triebe. Was weiß die? Was will die? Warum ist die so? Bald schon gibt es einige, die Yvonnes Tod wollen, einschließlich des Prinzen, dessen Laune inzwischen einer aus seinem Stand zuflog und der nicht will, dass Yvonne einen Teil von ihm mit nach draußen nimmt.
Das Stück, das auf der Bühne nicht mehr als Ballons und Protagonisten in wechselnden Lichtstimmungen präsentiert, gewinnt sein Tempo nicht zuletzt aus der ausgefeilten Choreografie des Kroaten Matija Ferlin. Der schickt die Spieler von hier nach da und unsichtbar kriechend zwischen den Ballons umher. Das entlockt der eher eintönigen Szenerie Witz und Spielfreude, verdrängt aber nicht an allen Stellen den Wunsch nach mehr optischer Vielfalt. Ausgeglichen wird dies durch Witold Gombrowicz‘ 1937 geschriebene Vorlage, die den Zuschauer von komödiantischen Höhen in tragische Abgründe schickt und sich einer Genreeinordnung entzieht. Diese Unfassbarkeit des Stückes und die dem deutschen Zuschauer teils ungewohnten Nuancen, die das slowenisch-kroatische Team der Inszenierung mitgeben, machen die Chemnitzer „Yvonne“ insgesamt zu einem lohnenden Erlebnis, das gedanklich nachklingt.