Foto: Matthias Kelle, Jens Winterstein, Gabriele Hintermaier, Silja Bächli und Sebastian Röhrle in "Frey!". © Cecilia Gläsker
Text:Adrienne Braun, am 19. Dezember 2011
Es ist ein Mittwoch. Friedemann Frey hat gearbeitet, korrekt und zuverlässig wie immer. Friedemann Frey, Verwaltungsangestellter einer namhaften deutschen Versicherungsgesellschaft setzt seine Frau in Kenntnis, dass er Überstunden machen wird. Spät verlässt er das Büro, geht zu Fuß durch die Nacht nach Hause. Von da an fehlt jede Spur von Friedemann Frey, diesem Mann, den doch eigentlich eine „tiefes Bedürfnis nach Kontinuität“ auszeichnet, der zeitlebens nachtblaue Anzughosen samt Sakko trug. In „Frey“, der neuen Stückentwicklung von Jan Neumann, macht sich Friedemann Frey wie Hänschen Klein auf in die weite Welt und sucht eine Antwort auf eine Frage, die doch viel zu groß ist für die Menschen: Was ist der Sinn des Lebens?
Im Nord, der Außenspielstätte des Schauspiel Stuttgart, ist diese Reise zum Ich nun uraufgeführt worden und beginnt als gutgelaunte Maskerade. Gleich fünfmal steht Friedemann Frey auf der Bühne: Silja Bächli und Matthias Kelle, Sebastian Röhrle und Jens Winterstein tragen alle nachtblaue Anzughosen samt Sakko – und begleiten Gabriele Hintermaier als den eigentlichen Frey bei diesem Roadmovie, das vom Büro in die Berge führt, weiter mit dem Schiff über das Meer, nach New York und Las Vegas.
Jan Neumann, der das Stück gemeinsam mit dem Stuttgarter Ensemble entwickelt und auf die Bühne gebracht hat, setzt auf einfache theatralische Mittel. Große Passagen des Stückes werden erzählt, dabei aber wie im Hörspiel von den Schauspielern atmosphärisch angereichert. Da muht und zwitschert es in den Bergen, die Krawatte wackelt, als fege der Wind durch die Gassen, es wird ins Mikro geblökt und klingt wie das dumpfe Signal des Überseedampfers.
So schafft Neumann leicht und spielerisch Atmosphäre und es entstehen assoziativ Räume und Schauplätze. Gabriele Hintermaier wandelt als Frey mit hängenden Schultern aber blitzwachem Geist durch die Welt und begegnet Menschen und Schicksalen. Da ist der Einsiedler, dem die Frau nach Jahrzehnte langer Krebserkrankung, Chemotherapien und Bestrahlungen dann endlich weggestorben ist. – „Ich hab gebetet. Dass sie stirbt dass sie einfach endlich verreckt.“ Auf dem Dampfer begegnet Frey einer Frau, die vom Vater missbraucht wurde und es genossen hat – „Mein Vater war ein wunderbarer Liebhaber“. Er fährt mit einem Motorradrocker, der das Denken eingestellt hat, durch die USA und landet schließlich im Hotel bei einer Rezeptionistin, die über den Selbstmord fabuliert.
Diese verschiedenen Stationen werden komödiantisch und mit Lust an Spiel und Verwandlung aufbereitet, die Kostüme (Dorothee Curio) sind amüsant. Doch die scheinbar fröhlichen Begegnungen repräsentieren existenzielle Lebenskonzepte: Der eine befragt die Philosophie nach Antworten, der andere rettet sich in Aktionismus. Manche flüchten, wieder andere suchen nach dem Eigentlichen, dem Wahrhaftigen, dem ureigentlichen Sein. Aber Neumann macht sich nichts vor: Das Ureigentliche ist keineswegs das Gute – Menschen können schließlich pervers oder pädophil sein oder zu einer Domina gehen, erzählt Jutta auf dem Schiff. „Ganz normale Leute sind das das find ich so besonders. Handwerksmeister. Angestellte. Beamte“.
So wenig wie Frey findet Neumann und das Stuttgarter Ensemble eine Antwort darauf, wie das richtige Leben ausschaut, wann der Mensch er selbst ist und wie er frei wird. Das ist die bittere Bilanz dieses schönen, poetischen und auch sprachlich bemerkenswerten Theaterabends. Denn so schnell Neumann nach den Proben den Text zusammengeschrieben haben mag, er wartet mit amüsanten Zitaten aus der Lifestylegesellschaft wie „Unforgettable Redouble Reroyal Winterwingpeeling“ auf und hat kuriose Sprachspiele konstruiert: „Also Gedankenschlecht statt – gut… Also schlechtes Geschlechtsgedankengut für das sich jeder bedanken tut wenn ich das jetzt hier denk“, konstatiert Frey einmal. Und doch: auch wenn es keine Antworten gibt, auch wenn das die logische Folgerungen aus der Sinnlosigkeit des Seins ist – umbringen will Frey sich nicht. „Das Leben ist ein Geschenk“, sagt er, „Man muss weiter leben.“