Foto: "Don Giovanni" in der Mailänder Scala. © Brescia/Amisano - Teatro alla Scala
Text:Jörn Florian Fuchs, am 8. Dezember 2011
Sehr gesittet geht es diesmal zu. Die vereinzelten Protestler vor der Scala fallen nicht weiter auf, im Foyer gibt es dann das übliche Defilee der Eitelkeiten. So richtig in Feierlaune war das Publikum nach dieser insgesamt recht blassen Premiere allerdings nicht. Robert Carsen verlegt das Geschehen – welch unerhörter Einfall – in die Scala. Der Titelheld eilt anfangs aus dem Publikum auf die Bühne, reißt den roten Samtvorhang herunter und zeigt drohend auf den riesigen Spiegel, in dem wir uns leicht verzerrt betrachten können. Auch Italiens Präsident Napolitano und der neue Regierungschef Mario Monti sind dabei zu sehen, einträchtig nebeneinander in der Mittelloge. Von dort aus wird später der recht lebendige Komtur dem Weiberheld drohen, kurz danach kommt es zum halbherzigen Kampf zwischen ihm und Giovanni. Halbherzig deshalb, weil letzterer sich selbst meuchelt.
Das ist die eine Deutungsidee, zwei andere gibt es auch noch. Giovanni und Donna Anna haben anfangs realen Sex, was viel vom Geheimnischarakter nimmt. Und die inszenierte Verwandlung seines Dieners Leporello in ein Giovanni-Double erlebt der Dienstherr wiederum als bloße Theateraufführung, übrigens in Begleitung eines nackten Mädels. Der Rest ist ständige Kulissen- und Ebenenschieberei: mal verlängert sich der Proszeniumsbogen ins Unendliche, mal werden Kleiderständer umher gefahren, vor allem jedoch dürfen Bühnenarbeiter diverse gemalte Scala-Vorhänge immer neu arrangieren. Leporello ist dabei so was wie der Chefdisponent. Regisseur Robert Carsen will offenbar dem Theater und seinem Publikum den Spiegel vorhalten, er lässt mehrfach das Saalllicht anknipsen, verlegt Teile der Handlung ins Auditorium, aber irgendwie will der Funke so gar nicht überspringen. Außerdem führt der Einsatz von Spiegeln unweigerlich zur Selbstbespiegelung der ganz besonderen Art: das Publikum fotografiert sich eifrig und ausgiebig und mit Blitz – dies hat immerhin unfreiwilligen Witz. Unklar und verschwommen bleiben die Spielebenen, nicht richtig zünden die wenigen szenischen Gags: Donna Elvira trägt Strapse unterm Wintermantel, Leoporello frisst sich beim Galadinner (un)ordentlich durch, unter den belustigten Blicken seines nur noch kurze Zeit lebendigen Herrn.
Zur matten Inszenierung passt auch das Dirigat Daniel Barenboims. Bei der vor Opernbeginn gespielten Nationalhymne gibt es sogar Patzer im Orchester. Barenboims Mozart ist dann eine Mischung aus mechanisch aneinander gereihten Einzelelementen ohne Doppelbödigkeit oder besondere Konturen. Arie reiht sich an Arie, die Rezitative versickern im Belanglosen, selten wird der Brei aus gediegenen Tempi und mittlerer Lautstärke mal aufgekocht.
Peter Mattei liefert schöne, kernige Giovanni-Töne, Bryn Terfel intoniert den Adlatus Leporello zeitweise etwas grob, Anna Netrebko gibt die Donna Anna – frei von jeglichem Jungmädchencharme früherer Zeiten – mit reifem, warmem Timbre, sie kann oder will jedoch kleinere technische Unsauberkeiten nicht verstecken. Anna Prohaska singt die Zerlina mit kleiner, feiner Stimme, Štefan Kocán ist ein tadelloser Masetto, Barbara Frittolis Donna Elvira besitzt leider etliche vokale Schärfen, Kwangchul Youn überzeugt als verlässlicher Komtur. Wenig Lärm also um wenig an diesem lauen Wintertag in Mailand.