Foto: Monica Brett-Crowther und André Riemer in Jürgen R. Webers Inszenierung von "Swanhunter" am Theater Chemnitz. © Dieter Wuschanski
Text:Michael Chlebusch, am 6. Dezember 2011
Lemminkäinen ist ein Held aus dem finnischen Nationalepos Kalevala. Lemminkäinen sucht eine Frau, am besten aus dem Norden, die sollen dort gute haben. Lemminkäinen muss dazu Aufgaben bewältigen, so auch den Schwan auf dem Todesfluss töten. Und Lemminkäinen trägt rosa Turnschuhe und ein Pappschild mit seinem Namen auf dem Kopf. Letzteres zumindest in der Chemnitzer Inszenierung von „Swanhunter“, Jonathan Doves Opernadaption des mythischen Stoffes.
Regisseur Jürgen R. Weber hat mit seinem „Swanhunter“ zum kreativen Rundumschlag ausgeholt. Neben der Inszenierung verantwortet er auch Ausstattung und Bühne. Seine Kostüme sind grob geschnittene und mit schwarzem Filzstift bemalte Wellpapprüstungen, ergänzt von pinkfarbenen Stoffen, Perücken und Kappen. Die Bühne ist ein modulares Spielzimmer. Sie wird samt Zuschauerrängen auf der Drehbühne des Hauses aufgebaut (die sich zuweilen auch dreht) und beinhaltet im Wesentlichen die Musiker auf einem fahrbaren Podest und eine Projektionsleinwand. Auf ihr läuft im Stück ein für sich schon sehenswertes filmisches Begleitprogramm der Videokünstler Devon Elise Atkins und Sven Klaus. Hier werden in Texten Handlungsfetzen erklärt, verstörende Bildcollagen oder witzige Animationen gezeigt und in den Kämpfen die Lebenspunkte von Lemminkäinen und seinen Gegnern gezählt – Weber macht, wie er sagt, Oper auch für die Generation „World of Warcraft“. Das Bühnenbild wird je nach Szene auch mit großen Aufbauten wie dem collagenhaften Teufelspferd bestellt, die weit in die Hinterbühne hineinspielen. Das Meiste findet jedoch direkt vor den Füßen des Publikums statt. Dieses Spiel mit der Nähe ist es auch, was die Kammeroper mit ihrer kleinen Besetzung prägt: Da werden Hände und Requisiten gereicht, wird in Gesichter gesungen und durch die Reihen geturnt. Das schafft auch emotional schnell Verbindung mit Akteuren und Aufführung; saugt den Rezipienten hinein in einen gut 70-minütigen Reigen aus Teufelsritt und Gefühl. So entsteht gleichsam ein Kanon der Darstellungsformen, mit vielen Dopplungen in Wort, Bild und Spiel, aber ohne Redundanz.
Das Kammerorchester unter Domonkos Héja ist mit Violine, Akkordeon, Harfe, Percussion, Horn und Kontrabass eher ungewöhnlich besetzt. Daraus entsteht ein überraschend voluminöser und kraftvoller Klangraum, der gekonnt Doves Mischung aus keltischer Verspieltheit und filmreifer Dramatik fasst. Das Libretto ist dabei eher ein Stichwortkatalog, wenige oft wiederholte Satzfragmente oblegen es den Sängern, den Plot mit Spiel, Stimme und Stimmung zu füllen. Das gelingt der Chemnitzer Besetzung bravourös (was auch der Premierenapplaus honorierte): Monica Brett-Crowther als unwillige Schwiegermutter in spe weiß gekonnt zwischen Gesangsstimmungen zu wechseln. Guibee Yang zeigt sich vielseitig als Chorus und als wunderbare Ursache von Gänsehaut in der Rolle des Schwans. Michael Heim beweist als Lemminkäinen, dass er nicht nur über Stimmgewalt, sondern auch über spielerisch-komisches Talent verfügt. Wenn er seinen „Heiligen Pömpel“ mit Klebeband an eine Lanze wickelt und sich dabei diebisch freut, wird das zum großen Spaß. Den transportierten auch die kleineren Gesangsrollen (André Riemer, Martin Gäbler) sowie die Nebendarsteller oder der Akrobat und Feuerkünstler Felix Häckell.
Erstaunlicherweise kommt Webers „Swanhunter“ damit bei Vertretern aller Generationen an. Diese Inszenierung erreicht sechsjährige Mädchen (große Freude, als Lemminkäinen zerhackt wird) und sechzigjährige Männer (strahlend dabei, mit einem Pappschild in die Rolle der Sonne zu schlüpfen) gleichermaßen. Hier schuf der Regisseur eine dankbar ungewöhnliche Musiktheater-Performance, die Oper in ihren Mitteln zwar nicht unbedingt neu erfindet, aber genügend Innovation vereint, um auch weit über das Abopublikum hinaus zu begeistern.