Foto: Aus Allem wird "Alles" am HAU in Berlin. © Atia Trofimoff
Text:Tim Sandweg, am 5. Dezember 2011
Aristoteles entwickelte in seiner Lehre von den vier Elementen den Gedanken, alles Sein bestehe aus Feuer, Wasser, Luft und Erde; aus diesen Grundstoffen ließen sich alle beliebigen Elemente herstellen. Eine Theorie, die das alchemistisch-chemische Denken und insbesondere den Wunsch, Edelmetalle herzustellen, über Jahrhunderte hinweg beflügeln sollte. Wenn alles bereits da ist, lässt sich aus diesem Alles auch wiederum alles erschaffen – so auch die neue Performance von Showcase Beat le Mot, die in ihrem Experimentarium unter dem lakonisch-kurzen Titel „Alles“ auf der Bühne des HAU 3 alchemistische Experimente mit dem Traum, Leben aus unlebendiger Materie zu schaffen, mischen.
Dabei ist das alchemistische Prinzip überhaupt die Arbeitsweise der vier Performer: Das Sampeln, Reorganisieren und palimpsesthafte Überschreiben bereits vorhandenen Wissens als Transformationsprozess zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Wahnsinn. Dieses aristotelische Verfahren trifft auch auf die Versatzstücke der Bühne zu, die bereits in vergangenen Performances zu finden waren: Der Homunculus trägt einen Hotzenplotz-Ganzkörperanzug, die Apparaturen erinnern in ihrer Holzlattenästhetik an „1534“. Natürlich tauchen die Elemente Choreografie, Konzert (mit den beatigen und chilligen Sounds von Albrecht Kunze angereichert) und Kochen (diesmal gibt es Gemüsesuppe) ebenfalls wieder auf. Neu zusammengesetzt, mit Zitaten aus Literatur, Wissenschaft und Pseudowissenschaft, Experiment und Theatertheorie vermengt, erschließt sich dem im Raum umherwandelnden, an der Bar sich versorgenden oder sich auf den bereitgestellten Sofas fläzenden Zuschauer ein faszinierendes Panoptikum, das danach schreit, selbst alles aus allem herzustellen.
Dazu eingeladen fühlt man sich auch durch die spieltriebhafte Lust am Experiment der Performer: Sie kreieren den vergoldenden Stein der Weisen in Granulatform, rotieren im Riesen-Hamsterrad und überprüfen Eau de Cologne auf dessen lebensspendende Wirkung. Zum Glück kam auch der Golem im Probenraum vorbei und hat es sich nicht nehmen lassen, einige Perpetua mobilia für das Bühnenlabor zu bauen.
Im ästhetischen Bühnenzentrum steht derweil eine Schattenleinwand aus vier raumhohen Stoffbahnen, die mit bunten und schwarzen Schatten, Licht- und Dia-Projektionen den vierstündigen Abend über durchgehend bespielt wird: Chemische Zeichen und Reagenzgläser mit farbigen Flüssigkeiten, Labyrinthe aus Sieben auf Tageslichtprojektoren, Spiegelkugelblitzer und Laserpointerstriche – und am eindringlichsten ein menschlicher Körper im Stroboskop- und UV-Licht, dem mittels einer blinkenden Lichterkette Leben eingehaucht wird.
In der letzten Stunde stellt sich dann nach und nach ein, was bereits in der zu Beginn gehaltenen Rede über die Filibusterrede, also über einen Redebeitrag, der ebenfalls wieder aus allem (und daher aus nichts) besteht und durch seine Länge den politischen Gegner zur Flucht zwingt, angedeutet wurde: Die Erschöpfung, daraus resultierend, dass die Alles-Schleife sich immer und immer wiederholt, nichts neues, sondern die Variation des Alles geschieht. So erschöpft sich der Bühnenkosmos in sich selbst und den Zuschauer gleich mit. Aber dies ist letztlich die Konsequenz aus der aristotelischen Idee: Die Partikel werden immer wieder unterschiedlich und dann irgendwann zwangsläufig gleich zusammengesetzt, das Ende wird zum Anfang. Wenn also alles aus allem besteht, können wir uns ruhig zurücklehnen. Wir werden schon nichts verpassen.