Foto: Petra Ehlert und Hilmar Eichhorn im "Arzt wider Willen". © Gert Kiermeyer
Text:Joachim Lange, am 5. Dezember 2011
Es beginnt, ganz still, in der Dämmerung. In der sterilen Nüchternheit eines Klinikspeiseraums, den Emanuel Schulze als Bühne aufgebaut hat. Von da schleichen sie am Ende auch wieder hinaus. Wobei diese ausgebremsten Momente, die den Abend einrahmen, das Beste an ihm sind. Auf den ersten Blick ist es gar nicht so abwegig den Arzt wider Willen in ein Klapsmühlen-Laufrad zu sperren, oder korrekter gesagt, die Handlung des Molière-Klassikers in eine Nervenklinik zu verlegen. Unter deren Insassen sind das Mediziner-Kauderwelsch, zu dem der Holzfäller Sganarelle durch eine Intrige seiner streitsüchtigen und rachedurstigen Ehefrau Martine gezwungen wird, der normale Umgangston und die Verrücktheit der herrschende emotionale Aggregatzustand. Doch was bleibt von der Komödie, wenn ihr Personal nicht mehr einer sich normal dünkenden Umwelt den Spiegel vorhält, sondern der falsche Schein von Anfang an der „richtigen“ Stelle vor sich hin flimmert? Wo aber mit diesem Konzept das Stück implodiert, bleibt nichts übrig als seine Pointe besonders grell, laut und überdreht immer wieder zu behaupten.
Und das mit einer Spiel-Textfassung, die aus perlendem französischem Wort-Wein, einen gepanschten Allerwelts-Softdrink macht. Sie mischen eine Portion Unterschichtenslang unter den Text, der nach Gegenwart klingen soll (was man durchaus machen kann, wenn man es kann), bedienen sich ausgiebig in der Wühltheke mit ausrangierten Honecker-Witzen und greifen stets nach den jeweils nächstliegenden Kalauern.
Die jungen Leute des Hallenser Ensembles versuchen sich ins Stück zu stottern oder zu blödeln, bleiben damit aber genauso heillos und irgendwie schief in der Klamotte stecken, wie optisch jeder einzelnen von ihnen in den von Ines Schweighöfer angefertigten Kostümen. Was dann zwar auch nur wieder eine Verdopplung ist. Doch was tut‘s – wo sich doch Puschen so gut auf Luschen reimt….
Dass der Schauspieler-Regisseur Michael Schweighöfer bei seinem Anschlag auf Molières Stück in Halle hemmungslos Herbert Fritsch hinterdrein läuft, aber den derzeit allzu Hochgejubelten nicht einkriegt, liegt auch daran, dass der Abend seine Aura der Improvisation nicht vom Unfertigen, ins Genialische hieven kann. Natürlich vermögen einer wie Hilmar Eichhorn als Sganarelle mit seinen Komödianten- (und Körper-)Pfunden zu wuchern, Petra Ehlert dessen streitsüchtige Ehefrau Martine bedrohlich zu erden oder Hannelore Schubert selbst als infantiler Géronte ihr Ulknudelformat durchschlagen zu lassen. Peer Uwe Teska darf seine Thibaut-Fremdsprach- und Witzeinlagen immerhin so über die Rampe miesepetern, dass man das auch gleich noch als Kommentar dazu auffassen könnte. Wolf Gerlach, Alexander Pensel, Jonas Schütte oder Stella Hilb retten sich in eine Art Workshop-Stimmung, und versuchen gar nicht erst der Abteilung für grassierende Infantilität der Anstalt zu entkommen. Das gelingt für Momente nur Bettina Schneider, dem aufregendsten Neuzugang des halleschen Ensembles. Und das nicht nur, weil sie über weite Strecken als Lucinde zum Schweigen verurteilt ist, bis sie von Sganarelle durch Zuführung ihres Geliebten Léandre (Maximilian Wolff) geheilt wird.
Der Auftakt der neuen Schauspiel-Intendanz in Halle unter Matthias Brenner war viel versprechend. Daran ändert auch nichts, dass man jetzt sogar mal ungebremst in eine Sackgasse gerannt ist. Die kann man auch wieder verlassen. Und solange der Weihnachtsmarkt geöffnet hat, hilft auch ein Becher Glühwein ganz gut über den Abend. Besser noch: zwei.