Foto: Probenfoto aus Christine Mielitz' Inszenierung von Lera Auerbachs neuer Oper „Gogol“ am Theater an der Wien. © Walter Kmetitsch
Text:Joachim Lange, am 22. November 2011
Lera Auerbach ist eine erfolgreiche Pianisten, Literatin und Komponistin. Die 38Jährige blieb mit Siebzehn, kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in den USA. Jetzt hat sie im Auftrag des Theaters an der Wien eine Oper über Gogol komponiert und das Libretto dazu aus einem selbstverfassten Theaterstück destilliert.
In ihrer „Opera-misteria“ erzählt Auerbach das Leben des Dichters, der sich in einem Anfall von religiösem Wahn 1852 mit nur 42 Jahren zu Tode gehungert hat, nicht einfach nach. Sie versucht, in seine Psyche einzudringen und Obsessionen und Ängste nachzuempfinden. Samt Teufel und Hexe, Maria und Nymphen. Den eigenen Tod bringt Gogol hier sogar um. Dass der Held als Knabe Nikolka und dann als Erwachsener gleich doppelt vorkommt, ist dem Umstand geschuldet, dass Bo Skovhus kurzfristig aussteigen musste, macht aber durchaus Sinn.
Auerbachs Musik ist auf geradezu unbekümmerte Weise russisch. Sie schert sich dabei nicht um die Maßstäbe der Moderne, ja, sie bleibt hinter der Modernität etwa von Schostakowitschs Gogol-Vertonung „Die Nase“ zurück. Wer freilich nicht auf Erneuerungsfuror aus ist, sondern handwerklich perfekt gebaute, souverän mit lebendiger Tradition spielende Theatermusik erleben will, der wird an der von Vladimir Fedosejew am Pult des lustvoll schwelgenden ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien zu voll tönendem Leben erweckten Opernnovität seine Freude haben.
Mit ihrer Inszenierung balanciert Christine Mielitz stilsicher auf einem schmalen Grat zwischen evozierter Opulenz und einer stets dem musikalischen Impuls folgenden Personenführung. Zusammen mit dem klug integrierten Beitrag der opernerfahrenen Choreographin Arila Siegert wird Johannes Leiackers Bühne zu einer Alptraumlandschaft. Hinterm durchsichtigen Plastikvorhang gibt es sowohl einen metaphorischen Schneesturm als auch einen endlos wirkenden Zeittunnel. Auf der verschneiten Schräge folgen Geisterbeschwörungen, tummeln sich aufmarschierende Bräute, finden sich die Abdrücke von toten Seelen, die am Ende gar an das Jüngste Gericht erinnern. Und sie ist die Spielfläche für das von Kaspar Glarner zum Teil grotesk kostümierte Personal aus den Stücken und Alpträumen des Dichters.
Dessen stimmgewaltige Darsteller, Martin Winkler und Otto Katzameier, sind mit einer stilisierten Locke ihres Vorbildes gezeichnet. Der wandlungsfähige, smarte Teufel (Ladislav Elgr) ist rothaarig, trägt Jeans und seinen nackten Bauch zur Schau. Für die dankbarste weibliche Rolle, die vollbusige Hexe Poshlust, legt sich Natalia Ushakova vehement ins Zeug. Die Geister und Dämonen aus Tänzern und Arnold Schoenberg Chor sind von Arila Siegert hochprofessionell und punktgenau geführt. Aus all diesen Zutaten wird bei Mielitz eine packende szenische Revue, über der (wie von Chagall entlehnt) ein glitzernder Fiedler schwebt, oder in der auch schon mal der Schnee brennt und religiöse Utensilien durch die Luft wirbeln. So entsteht, alles in allem, dann doch mehr als nur eine Ahnung vom Lebensalptraum einer berühmten verlorenen Seele.