Foto: Szene aus "Tanz. Ein Schauspiel" in Görlitz. © Marlies Kross
Text:Hartmut Regitz, am 23. Januar 2012
Das Ende als Anfang. Eben zollen Tilla Kratochwil und Stephan Thiel, als ”Zuschauer” auf der Bühne sitzend, den vier Akteuren noch begeistert Beifall, da entspinnt sich zwischen beiden ein Dialog, der das Gezeigte gleichsam hinterfragt. ”O Gott”, so stöhnen Frau und Mann unisono auf, ”das war – furchtbar.” Aus ganz verschiedenen Gründen allerdings: Während die eine die Choreografie als ”ein schnuckeliges kleines Handlungsballett” begreift, so ganz nach dem Geschmack ihres Partners, hält der sie für ein ”leeres Bewegungsgefummel”, in dem sich nichts konkretisiert: weder Erinnerungen noch Absichten oder Beziehungen, ”von geistigen Zuständen” ganz zu schweigen. Sie meint, das Tanz gar keine Gefühle ausdrücken kann. Und er versucht, das Gegenteil zu beweisen. Ein Wort gibt das andere, und wenn kein Argument mehr weiterhilft, müssen ganz körperhaft die vier Tänzer ran – die übrigens gar nicht so auf den Mund gefallen sind, auch wenn Thiel ihnen eigentlich eine Schweigegebot abverlangt.
Dan Pelleg nennt seinen Diskurs ”Tanz. Ein Schauspiel”, und er inszeniert ihn denn nach seinem Text, der es in sich hat. Ausdruckstanz und Tanztheater, Darstellung und Dekonstruktion, Geschichte und Gegenwart: All das wird rundum in einem Stück reflektiert, das am Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau wie eine höchst vergnügliche, bildhaft-bedenkenswerte Lecture-Demonstration in Sachen Tanz funktioniert. Diese Einführung ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil derzeit die Politik für den Kulturraum Oberlausitz/ Niederschlesien wieder einmal ein Konsolidierungskonzept diskutiert, das der Sparte innerhalb eines noch zu schaffenden Theaterverbunds keine Führungsaufgabe zuweist. Im Kosten-Nutzen-Vergleich schneidet die Tanzcompany im Vergleich mit dem Schauspiel nicht unbedingt vorteilhaft ab. Aber das kann sich ja noch ändern, wenn Marko E. Weigert (als Direktor) und Dan Pelleg (Chefchoreograf) weiterhin das Sagen haben.
Und beide haben was zu sagen, wie sich nicht nur bei der Uraufführung zeigt. “Schwarz, ohne Zucker” heißt es nach der Pause, und wie schon vor gut zwei Jahren bei der Premiere im Kunsthaus Tacheles, Berlin, befriedigt das Tanzstück nicht nur die leiblichen, sondern auch die geistigen Genüsse. Von Dan Pelleg und Marko E. Weigert ursprünglich für die wee dance company entwickelt, spinnt das Werk geschickt den Gedankenfaden weiter, den die Nachfolger von Gundula Peuthert bereits im ersten Beitrag aufgenommen haben. “Wir tanzen – das reicht” überschreiben die beiden das gemeinsame Vorwort im überaus attraktiven Programmheft. Was zu beweisen ist mit einem Stück Tanz, das, obwohl durch und durch strukturiert, bei jedem Betrachter ganz unterschiedliche Assoziationen auslöst – je nachdem, unter welchen Aspekt man es betrachtet. Wer will, kann ein paar Fußnoten zum Thema Tanzgeschichte entdecken. Wer seiner Fantasie freien Lauf lässt, wird sich in Bewegungsräumen wiederfinden, die sich nicht so leicht mit Wort beschreiben lassen. Unterhalten wird er jedenfalls auf hohem Niveau, und alle Tänzer agieren so, dass man sie unbedingt wiedersehen möchte. Wie man sieht, kann ein Ende auch mal ein Anfang sein.