Foto: Szene mit Sabine Haupt, Kristin Worrall, Fabian Krüger und Moritz Vierboom. © Anna Stöcher
Text:Karin Cerny, am 23. Januar 2012
Es ist fast wie ein Klassentreffen: Pavol Liska, in einem knallblauen Trainingsanzug von Jeremy Scott, und Kelly Copper mit einer Drachenblume im Haar, fragen vor der Vorstellung von „Life and Times – Episodes 3 & 4“ im Kasino, ob jemand die ersten beiden Teile auch gesehen hat. Ein Jubel geht durchs Publikum. Das sympathisch exzentrische Paar hat nicht nur in Wien eine kleine, treue Fangemeinde, die den schrägen Humor und die strenge Disziplin der New Yorker Off-Gruppe Nature Theater of Oklahoma gleichermaßen zu schätzen weiß.
Ein Bühnenbild wie aus einem Agatha Christie-Stück, ein Tonfall wie aus einem alten Horrorfilm. Bedeutungsschwere und Schrecken liegen in der Luft. Jeder Blick ein Abgrund. Jeder Satz eine intime Beichte. Man kommt sich vor wie in einem britischen Salonstück, aber der Witz ist: Worüber hier geredet wird, darüber schweigt man in klassischen Aufführungen eher. Die erste halbe Stunde dreht sich allein um die körperlichen Veränderungen während der Pubertät: Die ersten Schamhaare und die Tücken durchsichtiger Badeanzüge, wie es ist, wenn man ausgerechnet beim Segeln die erste Periode bekommt und die Mutter warnt, dass man von Tampons einen toxischen Schock bekommt. Die Komik entsteht gerade durch die Distanz zwischen hoher Form und niedrigen Inhalten.
Die epochale Performance-Serie „Life and Times“ beruht auf zehn Telefonaten, die mit einer befreundeten Musikerin geführt wurden. Kristin Worrall erzählte ihre Lebensgeschichte, die dann mit allen „Ähs“ und „Ahs“, mit allen Hängern und Erinnerungslücken auf die Bühne kommt. Die neuen Folgen weisen durchaus eine inhaltliche Logik auf: Sind die Jahre der Pubertät und des Erwachsenwerdens nicht ohnehin voller Mysterien? Da passt Agatha Christies Krimiklassiker „Die Mausefalle“, der geprobt, und dann kurz vor der Premiere mit dem Teenager-Text, versehen wurde (er umfasst die Jahre von 14 bis 18), perfekt dazu. Mit fünf Stunden Spielzeit ist es der bisher anstrengendste Abend dieser Serie, auch, weil kaum Musik vorkommt – nur bei höchst emotionalen Szenen wie dem ersten richtigen Kuss, und am Schluss, wenn ein selbst gezeichneter Trickfilm zu sehen ist. Zur Ironie des Abends gehört, dass Kristin Worrall selbst mitspielt – und auf der Bühne ermordet wird.
Das Nature Theater of Oklahoma hat geschafft, was nur wenigen freien Gruppen gelingt: ein völlig unverwechselbares Universum zu schaffen, so eigenwillig, so verrückt, und zugleich so perfektionistisch wie man es selten auf der Bühne sieht. Kein Wunder, dass selbst Riesentanker wie die Burg nach diesem Frischfleisch schnappen. „Life and Times“ ist sicher eine der gelungensten Zusammenarbeiten der bisherigen Ära von Matthias Hartmann.