Foto: Winfried Küppers, Aleksandar Radenkovic, Marianne Hoika und Lea Draeger im Düsseldorfer Eröffnungs-"Hamlet" von Staffan Valdemar Holm. © Sebastian Hoppe
Text:Stefan Keim, am 7. November 2011
Der Anfang ist ein Statement. Ein leerer, goldener Raum, keine Lichteffekte, keine Videos, nicht einmal ein bisschen Bühnennebel. Der Geist von Hamlets Vater kommt einfach so von der Seite im dunklen Anzug. Nur mit einer seltsam verkrampften Handhaltung charakterisiert Schauspieler Rainer Bock, der später den Brudermörderkönig Claudius verkörpert, das Gespenst. Staffan Valdemar Holm fordert Aufmerksamkeit für seine Schauspieler, für kleine Gesten. Sein „Hamlet“, mit dem der neue, schwedische Intendant mit drei Wochen Renovierungsverzögerung nun das große Düsseldorfer Haus eröffnet, bietet keine originelle Neuinterpretation des Dramas. Sondern Schauspielertheater, das aus dem Moment lebt. Wobei viele Details überzeugen, manche sogar überraschen. Doch zwischendurch gibt es auch lähmenden Leerlauf.
Die Schauspielerszene rückt Holm ins Zentrum der Aufführung. Hier hat er der griffigen, pointierten Shakespeareübersetzung von Werner Buhss einige Texte hinzugefügt. Die Schauspieler sprechen Monologe, Goethes Tasso klagt sein Künstlerleiden, das Urfaust-Gretchen versinkt im Wahnsinn, und Frau Helena aus Ingmar Bergmans „Fanny und Alexander“ erklärt dem Geist ihres toten Sohnes, dass man im Leben wie im Theater stets Rollen spielt. Eine Gegenthese zu Hamlet, der mit seinem Stück die Seele des blutbefleckten Onkels erreichen und seine Selbstentlarvung auslösen will. Frau Helena hingegen sagt: „Seitdem ist die Wirklichkeit kaputt geblieben, und seltsamerweise empfinde ich es so als richtiger. Ich mache mir also keine Mühe, sie wieder heil zu machen.“ In seiner ersten Düsseldorfer Inszenierung reflektiert Holm die Möglichkeiten des Theaters. Und kommt zu dem Schluss, dass er sich nicht in aktuelle Diskurse einklinken will. Sein „Hamlet“ in Bente Lykke Mollers goldenem Bühnenraum ist der Realität enthoben und nimmt nur mittelbar Bezug auf sie. Das Theater ist ein Kunstraum, kein Forum für Debatten.
Diese Einstellung erscheint konservativ und ist es auch. Gleichzeitig lässt sie sich als Fundamentalopposition deuten gegenüber der wachsenden Tendenz, Kunst nach ihrer Nützlichkeit zu betrachten. Doch um das klarer zu beleuchten, hätte Holm gleich den „Tasso“ inszenieren müssen. Sein „Hamlet“ wirkt mit Ausnahme der Schauspielerszene häufig unentschieden. Positiv ist, dass man nie weiß, was als nächstes kommt. Aber manchmal wirken die Brüche auch beliebig. Da gibt es kleine, scheue Tanzeinlagen, in denen sich Ophelia und Hamlet zu ruppigem Garagenrock der dänischen Band Sort Sol näher kommen. Aleksandar Radenkovic zeigt auch einige Momente pathetischer Verzweiflung. Dann bricht plötzlich skurriler Humor in die Aufführung. Sven Walser zeigt Polonius als Karikatur eines Kriechers, der sogar seine zusammen gebrochene Tochter liegen lässt, um dem König hinterher zu schleimen. Als er die Unterredung Hamlets mit dessen Mutter Gertrud (vielschichtig Imogen Kogge) belauschen will, krabbelt Polonius unter den goldenen Teppich und liegt da als unförmiges Etwas herum. Marianne Hoika, die seit 42 Jahren in Düsseldorf engagiert ist, und Winfried Küppers spielen im schnellen Rollen- aber ohne Kostümwechsel Rosenkranz und Güldenstern, die Schauspieler, Totengräber, Matrosen und alles andere, was man an Nebenrollen noch so braucht. Ihnen gelingen skurrile, unberechenbare Gestalten, sonst rutschen die parodistischen Momente oft ins Banale. Mit einer weiteren Ausnahme: Rainer Bock spielt als Claudius einen gefährlich schmierigen Machtmenschen, aus dem ebenso ein Bürotyrann wie ein wahnsinniger Diktator werden könnte. Er ist genervt von einer Welt, die einfach nicht so ist, wie er sich das vorstellt. Und kennt überhaupt keine Gewissenbisse, wenn es um seinen Vorteil geht. Bock ist boshaft komisch und menschlich monströs. Wenn er zwischendurch noch einmal die Hand verkrümmt, wie er es am Beginn als Geist getan hat, glaubt Hamlet sofort, seinen toten Vater zu spüren. Ein feiner Moment des Grauens.
Auch wenn man die Abwesenheit eines übergreifenden Konzeptes vermissen mag: Das Düsseldorfer Schauspielhaus verspricht mit Staffan Valdemar Holm und seinem Team zumindest ein ungewöhnliches Theater zu werden.