Foto: Fatima verwirrt ihre Freunde. Denis Geyersbach, Daniel Nerlich, Anne-Marie Lux, Ali Berber und Maja Haddat in "Fatima". © Arzu Sandal
Text:Detlev Baur, am 7. November 2011
Die (mit Anfang 20) wirklich junge englische Autorin Atiha Sen Gupta hat bereits als Koautorin einer erfolgreichen Fernsehserie gearbeitet. Auch so gesehen ist es naheliegend, dass bei der deutschsprachigen Erstaufführung ihres ersten Stückes am Jungen Schauspiel Hannover ein Fernsehset den Rahmen des Spiels darstellt. Die ebenfalls sehr junge iranischstämmige Regisseurin Mina Salehpour und ihr Ensemble aus erfahrenen Schauspielern und Schauspielstudentinnen fühlt sich auf der Bühne (Jorge Enrique Caro) mit Terrasse, Wohnzimmer und zwischen Küche und Klassenzimmer wechselndem Raum sichtlich wohl. Mit Tempo und keiner Angst vor Übertreibung entwickelt sich in „Fatima“ die Geschichte von sechs befreundeten Schülern zwischen jugendlichem Alltag voll Liebesverwirrungen und politisch-religiösem Durcheinander in der Epoche nach dem 11. September. An genau diesem Datum haben die Zwillinge Mohammad und Fatima Geburtstag. Fatima kommt nun am ersten Tag nach den Sommerferien plötzlich verschleiert in die Schule. Sie will sich zu ihren Motiven weder ihrer Mutter noch ihrem Freund Georg gegenüber äußern – und ist von der Autorin geschickterweise nur als Phantom konzipiert, das heißt sie wird in den 90 Spielminuten nie auf der Bühne auftauchen. Am Ende ist die Clique trotz langjähriger Freundschaft durch vermeintlichen Rassismus – Georg hat Fatima den Schleier vom Gesicht gerissen und muss die Schule verlassen – kräftig durcheinander gewirbelt, die Beziehung zwischen Georg und Fatima scheint am Ende.
Keine Hilfe ist in diesem britisch gut geschriebenen, seine Themen souverän und geistreich durchspielenden Stück von Seiten der Erwachsenen zu erwarten. Susana Fernandes Genebra spielt sowohl die um Integration bemühte Mutter wie die geschwätzig-sozial engagierte Lehrerin. Dabei gelingen ihre einige schauspielerische Kabinettstückchen, unterlaufen allerdings auch (als Mutter) einige Ungenauigkeiten in Tempo und Figurengestaltung. Überhaupt wirkt die gesamte Inszenierung in Details unfertig, manche Szenen sind nur oberflächlich rasant. Zugleich überzeugen die Darsteller durch grandiosen Slapstick (etwa wenn die drei Jungs Eierlikör schlürfen) und berührende Bilder der stillen Verzweiflung. Einen starken Abgang hat der von Daniel Nerlich als ziemlich arrogantes und charmantes Ekel gespielte Georg, der mit Fatimas schleierhafter Wandlung gar nicht zurecht kommt: Er tritt bei einer Kostümparty als Hitler auf, obwohl er sich eigentlich mit Fatima bzw. ihrem Bruder versöhnen will. Für die nächste Szene im Hause von Fatimas Familie bleibt er dann gleich als groteskes Mahnmal sitzen. Auf den Spuren einer Leichtigkeit im Umgang mit gesellschaftspolitisch brisanten Fragen (ähnlich wie in „Verrücktes Blut“) gelingen der international-jugendlichen Inszenierung in Hannover mit den schlagfertigen Dialogen schöne Fragzeichen in Integrations-Debatten und Beziehungs-Problemen unter Jugendlichen. Die Übertragung des Schauplatzes auf deutsche Schleier-Diskussionen gelingen der Inszenierung nicht nur wegen der Fernseh-Rahmung überzeugend.