Foto: Steven Scharf, Gert Raudsep und Rasmus Kaljujärv fliegen durch die trinationale Produktion "Three Kingdoms" an den Münchner Kammerspielen. © Arno Declair
Text:Anne Fritsch, am 18. Oktober 2011
Drei Länder, drei Sprachen – ein Abend. Da ist es! Das „Theater in der Mitte Europas“, das Johan Simons als intendant der Kammerspiele München versprochen hat. Der Engländer Simon Stephens hat ein Stück geschrieben, das in drei Sprachen in drei Ländern Europas spielt. Sebastian Nübling hat die Uraufführung als Koproduktion des Londoner Lyric Hammersmith Theatre, des Tallinner Theater NO99 und der Münchner Kammerspiele inszeniert. Schauspieler aller drei Bühnen spielten die Produktion erst in Estland, nun in Deutschland und ab Mai in England.
Stephens, bekennender Krimi-Fan, legt seinem Stück „Three Kingdoms“ ein Verbrechen zugrunde: Der Kopf der Prostituierten Vera Petrova wurde in einer Tasche aus dem Fluss gefischt. Wie er dahin kam und vor allem warum, das ermitteln Ignatius Stone und Charlie Lee, zwei britische Polizisten wie aus dem Krimi-Bilderbuch: groß und klein, dick und dünn, aufbrausend und seelenruhig – ein Duo mit Comic-Potential. Nick Tennant und Ferdy Roberts geben dem Abend vom ersten Verhör an eine so konzentrierte Energie, wie sie möglicherweise erst aus dem Aufeinandertreffen von Künstlern aus verschiedenen Kulturen erwachsen kann. Ihre Suche nach den Hintermännern im düsteren Prostitutionskarussell führt die beiden Ermittler nach Deutschland, wo Steven Scharf als Kommissar Steffen Dresner ins Spiel kommt. Scharf gibt den Provinzbullen mit begrenztem Horizont, aber weitreichenden Milieu-Kontakten: eine gefährlich-komische Mischung aus prolliger Bauernschläue und primitivem Humor, aus Derbheit und immer wieder überraschendem Durchblick. Während er auf der Reise gen Osten durch Porno-Drehs und ominöse Hotels zunehmend an Fahrt gewinnt, fühlt sich der englische Kollege Stone spätestens in Estland totally lost in translation. Das babylonische Sprachgewirr setzt ihm derart zu, dass Realität und Wahnsinn sich in seinem Kopf zunehmend vermischen und er jegliche Orientierung verliert.
Die Auflösung des Kriminalfalls gerät mehr und mehr in den Hintergrund: Vorurteile, Sprachlosigkeit, Missverständnisse – all das wird spielerisch leicht zum Hauptthema. Sebastian Nübling jongliert meisterhaft mit Klischees, hält souverän die Balance zwischen Witz und Ernst, zwischen Stringenz und Wahn, zwischen poetischen Bildern und einer rauhen Wahrheit. Nie werden die zugrunde liegenden Themen Menschenhandel und Zwangsprostitution verharmlost, nie rutscht der Abend in die Betroffenheitsschiene ab. Dafür sorgt schon der wunderbar ätherische Risto Kübar als Trickster: Er geistert durch die Aufführung, singt Chris Isaaks „Wicked Game“ mit derselben Zartheit ins Mikro wie Hans Albers „La Paloma“, umspinnt Inspektor Stone und versetzt alle und alles in eine Stimmung der Zerbrechlichkeit, der Verletzlichkeit. Die Idee Europas kann so falsch nicht sein, wenn sie derartige Energien freizusetzen vermag. Das beweist dieser große Theaterabend. Bravo, clap, bandiit!