Foto: Kerstin Avemo als Hanako in Calixto Bieitos Inszenierung von Toshio Hosokawas „Hanjo“ in der Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord. © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 30. September 2011
Toshio Hosokawa, der bekannteste japanische Komponist der Gegenwart, ist ein Wanderer zwischen West und Ost. In seinen Opern prallen westliche Mythen und japanische Traditionen überraschend harmonisch aufeinander. „Hanjo“, 2004 uraufgeführt, basiert zwar auf einem mittelalterlichen No-Spiel, aber Beckett und Freud sind jederzeit spürbar.
Geigen kratzen, gerade noch hörbar. Eine junge Frau balanciert ungeschickt durch die fast vollkommene Stille, eine Amorette mit einer Liebeswunde unter dem Herzen, fast ein Hermaphrodit mit dem hilflosen Charme eines rebellierenden Kindes. Ihr verzweifeltes, stummes Warten auf den verschwundenen Verlobten bannt das Publikum. Mit der sie unglücklich liebenden Jitsuku und dem schließlich auftauchenden, selbstgewissen Yoshio bildet sie ein Dreieck, aus dem es vor unterdrückter Erotik geradezu spritzt.
Es ist das Verdienst des Regisseurs Calixto Bieito, diese Urkraft theatralisch zu kanalisieren, ohne sie vollends ans Licht zu zerren, ihr Geheimnis aufdecken oder analysieren zu wollen. Er zeigt – in höchster Konzentration – Menschen, die außer sich sind, richtungslos taumelnde oder kauernde, einzig mit sich und ihren Trieben befasste emotionale Ich-AGs, Archetypen des 21. Jahrhunderts. Im Bühnenbild von Susanne Gschwendner finden sie keine Heimat. Wie in einem liegenden Setzkasten (oder einem Zen-Garten?) klafft Loch an Loch. Die fugenlosen Wände, der gnadenlose Betonhimmel der Duisburger Gebläsehalle lassen keine Wege offen. Ein umgehauener Baum liegt über einem Schienenstrang, Erde, Wasser, Feuer und Steine bieten keinen Halt.
Hoffnung dringt nur aus der Musik. Garry Walker und die fabelhaften Musiker der _musikFabrik_, die als weiß geschminkte Traumlemuren in den Löchern hocken, entbinden aus Hosokawas Partitur, unterstützt durch die trockene Akustik der Halle, einen geradezu unerhörten Strom emotionaler Energien, der aber immer wieder zu jenen Inseln der Gelassenheit zurückkehrt, die den Figuren verwehrt sind. Kerstin Avemo als Hanako, Ursula Hesse von den Steinen und Georg Nigl spielen wie um ihr Leben, entlocken Hosokawas differenzierten Sprechgesängen ein Maximum an Ausdruck und singen dabei wunderschön.
Am Ende liegt Yoshio, der stolze Verlobte, tot im Wasser. Die Frauen fassen sich an den Händen, erfüllt von der Idee des Wartens. Hanako wünscht sich, dass keine Ankunft je diesen Zustand stören kann, Jitsuko weiß es. Langsam gehen sie über die Schienen.