Foto: Die Tänzer Phon Sopheap und Noun Sovitou in der Aachener Uraufführung "Tomorrow, maybe Über – Leben in Diktaturen. DB_11_11_Aachen_tomorrow © Wil van Irsel
Text:Andreas Falentin, am 26. September 2011
Drei Kontinente, drei Länder, eine Situation, ein Thema. Der Journalist und Autor Jürgen Berger und der Regisseur Ludger Engels stellen einen auf dokumentarischem Material basierenden Theaterabend über den Aufbruch aus Diktaturen zur Diskussion. Dabei geht es ihnen nicht in erster Linie um politische Stellungnahme; vielmehr werden die szenischen Vorgänge zugespitzt auf eine einzige Frage, die nach der Legitimation von Gewalt als Mittel zur Etablierung einer „gerechten Gesellschaft“.
Argentinien, 1977. Die Militärjunta regiert. Täglich verschwinden Menschen. Jürgen Berger versucht, die Atmosphäre aus Angst und Wut in einem, um ein geplantes Attentat kreisenden Einakter für fünf Personen wieder zu geben. Ludger Engels lässt holzschnittartig vom Blatt spielen auf einer Bühne ohne Eigenschaften, die Christin Vahl mit einem beigen Faltenvorhang umgeben hat. Dennoch werden Klischees nicht immer vermieden. So wird der von Torsten Borm als richtungslose Machtmasse hingestellte Botschafter unnötig mit Herrenmenschenrassismus aufgepeppt. Die unglücklich ausgehende Liebesgeschichte hingegen berührt. Alle Figuren haben stille, intensive Momente, in denen die Orientierungslosigkeit von Menschen, die ihre Gefühle einer Ideologie unterordnen, schmerzhaft deutlich wird.
Das Publikum verlässt das Theater, muss durch einen Sicherheitscheck, wird in einen langen, engen Bus gepfercht und hört einen thematisch stimmigen aber substanzarmen, kabarettistisch-polemischen Monolog über Joschka Fischer. Die Reise endet in einer Ansammlung dunkler, flacher Gebäude, der Gallwitz-Kaserne. Über fünf Wände in der „Halle 16“ laufen Projektionen von Landschaften, nicht eben blühend, aber exotisch schön und fruchtbar. Berger und Engels sind 2010 nach Kambodscha gereist und haben die erst jetzt einsetzende Aufarbeitung der Greueltaten der Roten Khmer aus den Jahren 1975 bis 1978 mit der Kamera begleitet. Gesichter erscheinen auf einzelnen Wänden. Opfer der Schreckensherrschaft erzählen ihre Leidensgeschichte. In der Halle zeigen zwei junge Tänzer eine fantastische, im klassischen „Khmer-Tanz“ wurzelnde Tanzperformance. Das Ganze ist ein Wandelgarten, eine begehbare Installation. Der Zuschauer kann tun, was er will, auch zum Erfrischungsstand gehen. Es wird kaum etwas verkauft.
Den Schluss bildet ein 30-minütiger, von Jürgen Berger aus den Memoiren Nelson Mandelas kompilierter Monolog. Thema und Hauptfrage des Abends sind hier, im Umfeld des Apartheidregimes, noch stärker präsent als in den anderen Teilen, neu hinzukommen Witz und Esprit, die allerdings in der gewählten, stilisierten Darstellungsform unterbelichtet bleiben. Ludger Engels hat den Monologtext, analog zur behaupteten inneren Gespaltenheit Mandelas, auf die Schauspieler des Abends verteilt. Dazu bewegen sie eine Handpuppe und eine, aus einzelnen Körperteilen bestehende, riesige Puppenskulptur.
Diesem letzten Teil eignet, wie dem ganzen Abend, etwas skrupulös Tastendes, eine Tendenz zur bloßen Andeutung, die gleichzeitig Hauptstärke und -schwäche von „Tomorrow, may be“ ist. Das Theater tritt bewusst hinter seine Inhalte zurück, maßt sich nicht an, Lösungen zu präsentieren, stellt keine Forderungen, bezahlt diese Selbstbeschränkung aber mit einem, mit der Nichtausschöpfung der Mittel einhergehenden, Verlust an Vitalität. So gelingt voll überzeugend nur der mittlere, der Kambodscha-Teil, wo dokumentarisches Material berührend direkt und Hoffnung evozierend auf künstlerische Lebendigkeit trifft – eine Wertung, die die Relevanz und Seriosität des Unternehmens keinesfalls in Frage stellt.