Foto: Wolfgang Koch, Elza van den Heever und Dovlet Nurgeldiyev im Hamburger "Don Giovanni" von Doris Dörrie inszeniert. © Bernd Uhlig
Text:Joachim Lange, am 20. September 2011
Zumindest die Idee hat Potenzial: der Weg des großen Verführers wird in seinen letzten Stunden immer wieder von einer Knochenfrau mit rosarotem Schwinger überm Skelett gekreuzt. Und am Ende umarmt diese „La Morte“ Giovanni und versinkt mit ihm, samt Knochentafel unterm imponierenden Knochen-Kronleuchter von Ausstatter Bernd Lepel im Orkus. In Hamburg bleiben das einsame Zeichen szenischer Inspiration. Der große Rest dazwischen stammt aus dem Baukasten gewollter Originalität: Donna Anna und Don Ottavio als gepuderte barocke Dummchen. Donna Elvira mit Melone, in Schwarz und zugeknöpft bis unters Kinn, samt heimlicher Vorliebe für Schläge. Und Masetto und Zerlina irgendwo zwischen Disocfieber und postpubertärem Punk, die mit ihrem mitgeschleppten Nachwuchs nicht so recht klar kommen. Das Ganze ist nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch ganz direkt ein Ausflug ins Operneinrichtungshaus. Da findet sich dann für jeden das passende Möbel – vom barocken Prunkbett, über ein Freudsches Sofa bis zur IKEA-Möblierung. Dazu gibt’s auf der Videoleinwand drei traumverzückte Frauengesichter zu jedem Auftritt zwischen dahinwabernden Wolken. Wobei die drei Damen schon einen seltsamen Geschmack haben müssen, wenn sie von diesem Meese-Giovanni träumen! Wo die Liebe hinfällt – könnte man sagen. Doch bei Dörrie landet sie in der Kaufhaus-Kinderecke, samt Gespensterpartie in der Hüpfburg. Knallbunt und ziemlich albern in seiner gewollten Originalität.
Doch auch die Hoffnung, dass immerhin Mozart übrig bleibt, wenn man den szenischen Unsinn abzieht, trügt diesmal. Wenn bei einem Don Giovanni der musikalische Chef des Hauses nach der Pause mit lautstark artikulierter Verärgerung empfangen wird, wie es jetzt Simone Young erging, dann spricht das für sich. Young zerfloss der Drive der Musik unter den Händen, sie reihte musikalisch die Nummern im Graben, so wie sie szenisch nebeneinander gestellt wurden. Noch schlimmer freilich die Besetzung. Wolfgang Koch, der gerade in Salzburg zu Recht als Barak gefeiert wurde, ist einfach kein Don Giovanni. Dass Dovlet Nurgeldiyev schon für seine ordentliche, aber nicht wirklich berückende zweite große Ottavio-Arie gefeiert wurde, spricht für sich. Wilhelm Schwinghammers Leporello gewann keine rechte Kontur – immerhin gab Jongmin Park mit seinem Masetto jenes Niveau vor, das man sich bei den Herren durchweg gewünscht hätte. Elza van den Heevers Donna Anna lässt ihr stimmliches Gestaltungspotenzial wenigstens ahnen, Christina Damian wirkte als Elvira fehlbesetzt und die Zerlina von Maria Markina fiel schon in die Rubrik harte Prüfung; scharf und schrill wie ihr haarsträubendes Bühnenoutfit, so sang sie leider auch. Dieser „Don Giovanni“ zur Spielzeiteröffnung war Chef(innen)sache und wurde eine Diagnose mit einem Befund so düster, wie die wabernden Videowolken.