Text:Joachim Lange, am 30. April 2011
Medea ist eine von den Langzeitstars der Bühne, der Literatur und auch der Oper. Es ist kein Zufall, dass Aribert Reimann mit seiner Version der Geschichte vom rächenden Kindermord aus Verzweiflung in Wien so einen Coup landen konnte. Zu den vielen Vorgängern gehört auch die „Medea in Corinto“ des in Bayern geborenen, alsbald aber ziemlich italienischen Johann Simon Mayr (1763-1845). Dass sein überreiches und in seiner Zeit erfolgreiches Opernschaffen in der Versenkung verschwunden ist, hat allerdings gute Gründe. Seine Musik ist selbst da, wo sie tragische Gegenstände verhandelt vor allem routiniert. Nicht ohne beträchtliche gestalterisch dramatische Herausforderungen für die Sängerin der Titelpartie. Und mit dem einen oder anderen Anklang an Mozart oder Beethoven. Doch selbst in der größten Verzweiflung und bei den diversen Revolten gegen oder für die von Jason verlassene Medea plaudert sie eher etwas aufgeregt daher, als das sie wirklich dramatisch auf den Punkt käme.
Daran können auch Musiktheater-Schwergewichte wie Hans Neuenfels, Anna Viebrock auf der Bühne und Ivor Bolton im Graben des Münchner Nationaltheaters nicht wirklich etwas ändern. Da ist der markerschütternde Angstschrei, mit dem sie die Oper beginnen lassen, fast schon der dramatische Höhepunkt des Ganzen. Bolten legt sich natürlich mit seiner ganzen Leidenschaft fürs Historische für Mayr ins Zeug. Auch Nadja Michael nimmt sich mit vollem Einsatz, auch jenseits kultivierten Schönklangs, der Titelpartie an. Elena Tsallagova ist ihre Gegenspielerin Creusa, Ramón Vargas ein eher blasser Giasone. Und sein Tenorkollege Alek Shrader geht als von Creusa verschmähter Ex Egeo mit Medea ein Zweckbündnis gegen den schrulligen, alten König Creonte (Alastair Miles) und seinen merkwürdigen Staat ein.
Neuenfels setzt auf die Staatsaktion in und vor Anna Viebrocks mehrstöckiger Palastkonstruktion. Hier wahrt eine stilisiert quer durch die Zeiten kostümierte und uniformierte Gesellschaft im Kriegszustand (Kostüme: Elina Schnizler) vor allem ihre Fassade, vollzieht aber auch seltsame Rituale, die nicht nur an ihre mythischen Ursprünge erinnern, sondern immer noch archaisch sind. Hier spielen Hymen und Amor mit, es wird ein bisschen gefoltert und geputscht und schon bevor es Creusa und Medeas Kindern ans Leben geht, auch fleißig gemordet. Doch selbst in der bewährt auf den Subtext zielenden Lesart eines Hans Neuenfels umweht das Unternehmen der Hauch der Vergeblichkeit. Manchmal hat die Rezeptionsgeschichte mit ihren Platzversweisen eben auch Recht.